Abschied Swing-Legende Coco Schumann gestorben

Berlin (dpa) - „Mein Leben hat die Musik gerettet“, hat Coco Schumann immer wieder gesagt. Er meinte es wörtlich. Schumann überlebte Verfolgung, zwei Konzentrationslager und einen „Todesmarsch“.

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Der Autodidakt, der unter den Augen der Nazis in Berliner Kellern und Tanzlokalen auftrat und in Theresienstadt und Auschwitz auf Befehl der KZ-Wächter spielte, ist am Sonntag mit 93 Jahren in Berlin gestorben, wie seine Plattenfirma Trikont unter Berufung auf Schumanns Familie am Montag mitteilte.

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Lange weigerte sich Schumann, von seinem Schicksal als Holocaust-Überlebender öffentlich zu sprechen. „Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der auch ein bisschen Musik macht“, schrieb er in seiner Biografie „Der Ghetto Swinger“. Die Lager und die Angst hätten sein Leben verändert, „aber die Musik hat es geführt, und sie hat es gut gemacht“.

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Seine erste Gitarre bekam der 1924 in Berlin geborene Heinz Jakob Schumann, wie er eigentlich hieß, von einem Cousin, der zum Militär musste. „An meine erste Gitarre erinnere ich mich noch sehr gut“, sagte er einmal in einem Interview der „Jüdischen Allgemeinen“.

Schon mit fünf Jahren hatte er am Klavier gesessen, doch dann hörte er zufällig, wie eine Gruppe Jugendlicher in einer Berliner Eisdiele Swing spielte - der Sound ließ ihn nicht mehr los. Er widmete sich fortan der Gitarre und dem Schlagzeug, bald kamen Auftritte in Clubs und Tanzkellern. Eine französische Freundin, die seinen Namen nicht richtig aussprechen konnte, verpasste ihm den Spitznamen Coco.

Dabei hatte der Sohn eines protestantischen Vaters und einer jüdischen Mutter Auftrittsverbot. Schumann ignorierte die Bedrohung, auf der Bühne nahm er sich den „gelben Stern“, das Zwangskennzeichen für Juden, ab. Der Druck wurde aber immer stärker.

Bei einer Razzia stellte sich der Jazzer freiwillig der SS, die ein Lokal nach Juden absuchte. Ein Zuhörer aus dem Publikum versuchte zu flüchten, Schumann stellte sich dazwischen. „Wenn Sie ihn verhaften, dann sollten Sie mich wohl auch verhaften“, habe er einem Offizier gesagt. „Erstens bin ich Jude, zweitens bin ich minderjährig und drittens spiele ich Jazz.“ Der SS-Mann glaubte ihm nicht. Doch auch Schumann blieb der Verfolgung ausgesetzt. 1943 wurde er denunziert und in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.

Dort ordneten ihn die Aufpasser eine Gruppe von Roma-Häftlingen zu, mit denen er als „Ghetto Swingers“ für die Wächter Konzerte geben musste. Im September 1944 kam er mit der Band in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er für Neuankömmlinge und beim Abmarsch der Arbeitskolonnen musizieren musste. Zur Unterhaltung der deutschen KZ-Wärter spielte er „La Paloma“, während in den Gaskammern die Häftlinge ermordet wurden. Nur drei Mitglieder der 16 Bandmusiker überlebten. Schumann wurde während eines „Todesmarschs“ von den US-Truppen befreit.

Der Musiker kehrte nach Berlin zurück. Als erster in Deutschland spielte er auf der E-Gitarre, die er aus seiner Akustikgitarre weiterentwickelt hatte. Er trat mit dem Jazz-Geiger Helmut Zacharias und dem Pianisten und Sänger Bully Buhlan auf, spielte im Radio und nahm Schallplatten auf. 1950 wanderte Schumann mit seiner Frau und seinem Sohn nach Australien aus, kehrte vier Jahre später aber wieder zurück und knüpfte an die frühen Erfolge an.

Schumann trat im Heinz-Erhardt-Film „Witwer mit fünf Töchtern“ auf, spielte Rock’n’Roll und ging mit Roberto Blanco auf Tour. Mit seinem Coco Schumann Quartet feierte er internationale Erfolge, ließ sich von Kreuzfahrtschiffen engagieren. Noch mit 90 machte er Jazz. Aufhören wollte er nie.