Tenor Plácido Domingo: Kein Gedanke an die Rente
Salzburg (dpa) - Von einer Lungenembolie ist er genesen, bei den Salzburger Festspielen hat er an der Seite von Anna Netrebko ein umjubeltes Rollendebüt gegeben.
In Giuseppe Verdis selten gespielter, früher Oper „Giovanna D'Arco“ sang der berühmte Tenor den Giacomo, eine Baritonpartie. Im dpa-Interview: der Weltstar Plácido Domingo (72).
Frage: Wie geht es Ihnen, Herr Domingo?
Antwort: Danke, ich kann nicht klagen. Die drei Wochen Pause haben mir gut getan.
Frage: Nur so kurz? Mit einer Lungenembolie ist nicht zu spaßen!
Antwort: Das geht schon. Im allgemeinen erfreue ich mich ja einer robusten Gesundheit. Ich müsste allerdings ein bisschen mehr Sport treiben, ich habe etwas zugelegt.
Frage: Sie haben gerade in Salzburg ein umjubeltes Rollendebüt gegeben und in diesem Jahr noch viele Auftritte vor sich. Mit 72 Jahren! Was ist das Geheimnis Ihrer offenbar unverwüstlichen Stimme?
Antwort: Das kann ich ganz kurz formulieren: Hingabe!
Frage: Wissen Sie eigentlich, wie viele Rollen Sie in Ihrem persönlichen Repertoire haben?
Antwort: So um die 130 - Tenorrollen wohlgemerkt.
Frage: Seit kurzer Zeit singen Sie auch Baritonpartien, wie gerade in Verdis früher Oper „Giovanna D'Arco“. Auch für Ihre neueste CD haben Sie nur Baritonrollen eingespielt.
Antwort: Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich viele Tenorpartien nicht mehr so mühelos singen kann wie zu meinen besten Zeiten. Deshalb bin ich froh, dass sich meine Stimme auch für das Baritonfach eignet. Auf diese Weise kann ich meine Karriere noch ein wenig verlängern.
Frage: Singen Sie nur Baritonrollen aus Verdi-Oper?
Antwort: Verdi hatte ein schweres Schicksal. Er verlor innerhalb weniger Jahre seine beiden Kinder und seine geliebte Frau. Diesen Schmerz, der ihm auch Inspiration war, spürt man besonders in seinen Bariton-Partien. Das fühlt sich beim Singen so an, als ob man das alles selbst durchlebt.
Frage: Die weltbekannte Arena di Verona feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen als Opernbühne. Sie sind Künstlerischer Ehrenleiter des Jubiläumsjahres.
Antwort: Der Gründer der Opernfestspiele von Verona war Giovanni Zenatello, ein Tenor wie ich. Deshalb haben sie mich gefragt, ob ich dieses Ehrenamt annehmen wolle. Ich habe Ja gesagt, weil ich die Arena sehr liebe.
Frage: Was fasziniert Sie an diesem ehemaligen römischen Amphitheater?
Antwort: Schon bei meinem Debüt in Verona vor mehr als 40 Jahren habe ich die Magie dieses Ortes gespürt, die lange Tradition und die Atmosphäre mit den vielen Lichtern, die im Publikum angezündet werden.
Frage: Kann man dort überhaupt Kunst machen? Oder sind Opernaufführungen in der Arena nicht viel mehr als eine Touristenshow?
Antwort: Alle großen Sänger, mich eingeschlossen, haben in Verona gesungen und diesen Ort sehr ernst genommen. Natürlich ist das auch ein Spektakel. Aber ist Oper nicht immer ein Spektakel?
Frage: Sie sind aber nicht nur Ehrenleiter, sondern werden dieses Jahr auch in Verona auftreten.
Antwort: Natürlich. Ich singe den kompletten „Nabucco“, und eine Verdi-Wagner-Gala, in der ich zwei Tenorrollen, den Parsifal und den Siegmund in der „Walküre“, sowie den Simon Boccanegra, eine Baritonrolle, interpretieren werde. Außerdem dirigiere ich „Rigoletto“ und „Aida“, letztere in der historischen Inszenierung von 1913.
Frage: Wird in Verona eigentlich mit elektronischer Verstärkung gearbeitet? Etwa mit Mikroports für die Sänger?
Antwort: Bislang nicht, doch jetzt fangen sie etwas an damit. Vor allem für das Orchester wäre ein bisschen Verstärkung nicht schlecht. Die Leute werden ja immer anspruchsvoller und verlangen einen perfekten Sound.
Frage: Haben Sie eigentlich schon mal ans Aufhören gedacht?
Antwort: Also, ich dachte lange Zeit, ich beende meine Tenor-Karriere, singe dann noch den Boccanegra, eine meiner liebsten Baritonpartien, und ziehe mich dann zurück. Alles kam aber etwas anders. Maestro Daniel Barenboim, der Musikchef der Berliner Staatsoper, fragte mich nämlich etwas zu früh, ob ich bei ihm den Boccanegra singen würde. Ich habe zugesagt. Jetzt sind es schon mehr als eine Handvoll Baritonpartien.
Frage: Sie bleiben Ihren zahlreichen Fans also erhalten?
Antwort: Mir muss es Spaß machen, das Theater muss voll sein und dem Publikum muss es gefallen. Solange diese drei Bedingungen erfüllt sind, gehe ich nicht in Rente.