Travis: Sie beschwören den Geist des Kollektivs
Travis haben sich eine extralange Auszeit genommen — für die wohl besten Songs seit ihrer Anfangszeit: „Where You Stand“ ist da.
Düsseldorf. Schon Shakespeare wusste: „Was Ihr nicht tut mit Lust, gedeiht Euch nicht.“ Die schottische Band Travis hat sich daher eine extralange Auszeit zwischen dem letzten und dem am Freitag erschienenen siebten Album „Where You Stand“ genommen — um bessere Qualität zu liefern.
„Du lässt solange wie nötig die Finger davon, damit du diesen Hunger und dieses Verlangen wieder fühlst und dich genauso an die Arbeit machst wie ganz zu Beginn“, erläutert Bassist Dougie Payne die Pause der Band. Fünf Jahre sind vergangen seit „Ode To J. Smith“, 16 seit dem Debüt „Good Feeling“ und 14 seit „The Man Who“ — der Platte, die der schottischen Indie-Pop-Band mit Hits wie „Writing To Reach You“, „Driftwood“ oder „Why Does It Always Rain On Me?“ zu internationalem Durchbruch verhalf.
Rückblickend auf eine inzwischen mehr als 20 Jahre währende Musikerlaufbahn lässt sich der Stellenwert des Glasgower Quartetts gar nicht hoch genug einschätzen. Sänger Fran Healy analysierte vor einiger Zeit in einem Interview mit der Tageszeitung „The Herald“ das Ineinandergreifen von Inspiration: „Es gibt da eine Art Stammbaum der Bands. Angefangen hat es mit Oasis und Radiohead. Die beiden zeugten Travis. Als du Travis und Radiohead verbandest, bekamst du Coldplay; aus Coldplay und Travis wurde Keane. Und mit Keane und Travis kam schließlich Snow Patrol.“
Travis selbst haben sich von ihren Idolen das Talent für schöne Melodien, den Hang zum gefühlsschwangeren Pathos, die Sensibilität in der Aussage sowie das Wechselspiel aus Melancholie und Glückseligkeit angeeignet. Aus diesen Stärken haben sie einen eigenen Stil geprägt, an dem sich Nachfolgebands orientiert haben: Hits wie Keanes „Somewhere Only We Know“ oder Snow Patrols „Chasing Cars“ wären ohne Travis wohl niemals entstanden.
Nach einer gewissen Übersättigung dieser Sounds in den Charts und einer ansehnlichen Trophäensammlung von zwei Nummer-1-Alben, drei Brit Awards und zehn Top-10-Singles ist der Rückzug der Band zwischen 2008 und heute auch aus geschäftlichen Gründen nachvollziehbar.
Wichtiger noch war, dass sich Gitarrist Andy Dunlop, Drummer Neil Primrose, Dougie Payne und Fran Healy endlich mal Zeit für ihre Familien nehmen wollten. Nur Hauptsongwriter Healy konnte seine Kreativität nicht ganz ruhen lassen und brachte 2010 mit „Wreckorder“ sein erstes Soloalbum raus, auf dem sein Held Paul McCartney für ein Stück am Bass steht.
Für „Where You Stand“ haben sich Travis nun ein kleines Stückchen mehr demokratisiert. Erstmals überließ Healy das Songwriting mehrerer Lieder Kollegen wie Dougie Payne. Mit dem schwedischen Produzenten Michael Ilbert, der schon den Cardigans, Tocotronic, den Backstreet Boys oder den Hives seinen Stempel aufdrückte, ging man zunächst ins Berliner Hansa Studio.
Und um der Musik schließlich den letzten Schliff zu geben, schotteten sich Travis noch für drei Wochen auf einer kleinen Insel vor Norwegen ab — dem Ort, wo einst auch ihr Meilensteinwerk „The Man Who“ entstand. Bei eisigen November-Temperaturen mischten sie an demselben Pult wie damals die wohl besten Songs seit ihrer Anfangszeit ab: elf herzenswarme Lieder, die nicht nur das unnachahmliche Travis-Gefühl in sich tragen, sondern von denen fast jedes einzelne das Potenzial zu einer Single hat.
Man hört sofort, dass Travis selbst nach zwei Dekaden unverändert zusammenhalten und deshalb so gut funktionieren. „Wenn du in einer Band bist, dann bist du für immer in einer Band. Es ist eine Lebensaufgabe“, beschwört Healy gar den Geist des Kollektivs. Und bei solch einem Statement, wie „Where You Stand“ es geworden ist, können Fans auch gerne mal fünf Jahre warten.