Valentina Lisitsa: YouTube als Karriere-Booster

Regenburg/München (dpa) - Valentina Lisitsa? Bis vor kurzem war die ukrainische Pianistin mit Wohnsitz in den USA hierzulande noch so gut wie unbekannt. Doch mittlerweile kommt ihre Karriere langsam auf Touren.

Gerade ist die Künstlerin mit dem langen, blonden Haar kurzfristig in Paris eingesprungen. Dann schnell in den Flieger nach München zu einem Recital in der bayerischen Provinz. Lisitsa hat kaum geschlafen und ein mörderisches Programm vor sich. Liszt, Schubert, Rachmaninow, Beethoven. Auf den Plakaten im Audimax der Universität Regensburg ist sie als „Erster YouTube-Star der klassischen Musik“ angekündigt.

Lisitsa wirkt aufgekratzt, als sie im Sturmschritt zum Interview erscheint. „Ich habe erstmal ein paar Tassen Kaffee getrunken“, sagt sie atemlos auf englisch mit einem harten slawischen Akzent. „Jetzt geht es mir wieder ganz gut.“ Ihre Geschichte klingt wie ein modernes Märchen, ein Märchen aus den Zeiten des Internets. Es geht so: Begabte Pianistin versauert in der amerikanischen Provinz, verliert aber nicht den Glauben an sich und die Kunst, sondern ergreift die Initiative. Sie stellt ein eigenes Video ins Netz, die berühmte Etüde 39 Nr. 6 von Sergej Rachmaninow, ein Renner des Repertoires. Die Aufnahme in „dürftiger VHS-Qualität“ kommt an bei der Netzgemeinde. Die Klickzahlen steigen, neue Videos, die sie beim Üben und Konzertieren zeigen, folgen.

Mit der „ersten YouTube-Pianistin“ erfinden Lisitsa und ihr Mann, ebenfalls Pianist, eine Marke. Und die kommt an in Zeiten, in denen das Klassikpublikum immer älter wird und die Orchester, Opernhäuser und Konzertveranstalter händeringend nach Wegen suchen, wie sie junge Leute für klassische Musik begeistern können. „Man muss sich eine gute Story zulegen“, sagt Lisitsa. „Das mag wie ein Gimmick klingen, aber es funktioniert.“

2012 dann der Durchbruch: Lisitsa spielt vor 8000 Zuhörern in der berühmten Londoner Royal Albert Hall. Am Vorabend ließ sie das Publikum, ein Novum bei Klassikkonzerten, online über das Programm des Abends abstimmen. Jetzt nimmt das Label Deca Lisitsa unter ihre Fittiche, der Live-Mitschnitt des Londoner Konzerts wird auf CD und DVD veröffentlicht.

Mittlerweile verzeichnet ihr YouTube-Auftritt mehr als 60 Millionen Klicks und 120 000 Abonnenten. Mit ihrem Publikum kommuniziert die Anfang 40-jährige Lisitsa regelmäßig auch über Facebook. Ganz stolze Mutter, präsentiert sie ein Video mit ihrem acht Jahre alten Sohn, der vom Vater im gemeinsamen Heim in North Carolina gehütet wird.

Lisitsa sei ein interessantes Phänomen, sagt Michael Schöne, Marketingleiter bei der Münchner Konzertagentur MünchenMusik. Im Netz sei sie bekannter als Superstars wie Lang Lang oder Anna Netrebko. „Frau Lisitsa hat sehr früh einige der populärsten Werke der Klavierliteratur ins Netz gestellt und dadurch über Suchmaschinen schnell hohe Klickzahlen erreicht.“ Allerdings lasse sich ihr Bekanntheitsgrad im Worldwideweb bislang noch nicht adäquat in Ticketverkäufe ummünzen. MünchenMusik hat für März ein Konzert mit Lisitsa im Programm. „Vielleicht handelt es sich bei ihren Netzfans und unseren Kunden doch um verschiedenen Zielgruppen.“

Lisitsa schaffte es zunächst an die Lysenko-Musikschule für hochbegabte Kinder in ihrer Heimatstadt und wechselte dann aufs Musikkonservatorium, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte. Zusammen gewannen sie einen angesehenen Wettbewerb für Klavierduos, emigrierten 1992 in die USA und versuchten dort, eine gemeinsame Karriere zu starten. „Wir dümpelten so vor uns hin“, erinnert sich Lisitsa. „Es gibt zwar wunderschöne Werke für zwei Klaviere, doch niemand will sie hören. Außerdem wollen die Leute Entertainment, Crossover. Das konnten wir aber nicht bieten.“

Zumindest in Sachen Marketing reitet Lisitsa mittlerweile ziemlich souverän auf der populären Welle. Ihr Konzert in London wurde sogar mit dem Slogan „Know as the Justin Bieber of classical music“ beworben. Über ihre pianistischen Fähigkeiten gehen die Meinungen auseinander. Kritiker bescheinigen Lisitsa zwar eine stupende Technik, bemängeln jedoch einen gewissen Mangel an Persönlichkeit in manchen ihrer Interpretationen.

Zu einem Markenzeichen Lisitsas sind die Publikums-Votings geworden. Auch in Regensburg sollen die Besucher ein Programm ihrer Wahl bestimmen können. Drei Möglichkeiten stehen zur Wahl: Schubert-Lieder in einer Liszt-Bearbeitung, sowie zwei reine Beethoven und Liszt-Programme. Diesmal soll nicht online, sondern mit Handaufheben im Auditorium unmittelbar vor dem Konzert entschieden werden. Lisitsa unternimmt mehrere Anläufe, ohne klares Ergebnis. Schließlich bricht sie die Wahlversuche ab und kündigte kurzerhand ein Überraschungs-Potpourri aus allen drei Optionen an. „Ich bin sicher, es wird ein wundervoller Abend.“