Viele Fragezeichen bei Bayreuths „Tannhäuser“
Bayreuth (dpa) - Es ist ja nicht so, dass sich nichts getan hätte. Die Oper „Tannhäuser“ hat bei den Bayreuther Wagner-Festspielen in diesem Jahr einen neuen Dirigenten und einen neuen Sänger für die Titelpartie bekommen.
Aber beantwortet das die offenen Fragen, die die im vergangenen Jahr erstmals gezeigte Inszenierung von Sebastian Baumgarten hinterlassen hat? Nein.
Die Regie erntet am Samstagabend wieder Buhrufe und Pfiffe. Der Applaus gilt allein den Solisten und dem Chor sowie dem erneut glänzend aufgelegten Dirigenten Christian Thielemann samt Orchester. Dabei fallen viele Bilder auf der Bühne längst nicht mehr so effekthaschend aus wie im Vorjahr. Und die Grundanordnung ist erst einmal einleuchtend: Das Reich der Venus ist ein im Boden versenkbarer Käfig. Es brodelt darin zügellos und will an die Oberfläche.
Oben, da ist die Wartburg mit ihren Regeln und festen Strukturen. Doch auch da brodelt es irgendwie. Denn die Biogas-Anlage und der rote „Alkoholator“ sind bestimmende Elemente im Bühnenbild, einer Installation von Joep van Lieshout mit dem Namen „Technokrat“: Chemische Prozesse gegen echte Leidenschaft - daraus hätte etwas werden können. Aber viele Blicke im Publikum bleiben ratlos.
Und was ist das nur für ein Tannhäuser? Wie einen tapsigen Bären lässt Baumgarten ihn umherirren. Wie ein zerrissener, leidender Mann, der sich nach Erlösung sehnt, wirkt er nicht. Sängerisch arbeitet sich Torsten Kerl sehr tapfer durch die höchst anspruchsvolle Partie, der Applaus für ihn ist groß am Ende. Lars Cleveman, der Tannhäuser des Vorjahres, begann seinen Auftritt im Venus-Käfig noch in Unterhosen und mit kotverschmierten Beinen.
Kerl hat in einem Interview vor Festspielstart schon erklärt, dass solcherlei Regie-Einfälle für ihn nicht infrage kommen. „Als klar war, dass ich hier den "Tannhäuser" singen würde, wusste ich, dass ich bestimmte Dinge nicht tun werde, etwa in Unterhosen über die Bühne rennen.“
Hat er nun auch nicht gemacht. Doch der Elisabeth-Figur geht es ja auch nicht viel besser. Zum Einstand gibt sie ganz oben auf dem mehrstöckigen Bühnengestell die Schlafwandlerin im roten, unförmigen Nachthemd. Für ihre Gesangsdarbietung aber wird Camilla Nylund, die finnische Sopranistin, später ausgiebig bejubelt.
Elisabeth stirbt den Opfertod, um den Tannhäuser zu erlösen. Sie verschwindet in der Biogas-Anlage, so als wäre sie Kuhmist oder Grünzeug. Schlüssig ist dagegen die Idee, die Venus (Michelle Breedt) als Schwangere zu zeigen: Das Kind, das sie zur Welt bringt, ist Ausdruck von Hoffnung und von Zukunft. Und: Der Eros existiert nicht nur um seiner Selbst willen. Durch ihn entsteht neues Leben. Während - siehe Elisabeths Opfertod - auf der Wartburg Leben zerstört werden.
Doch vieles an dieser Inszenierung löst nur Fragezeichen aus. Warum sitzen einige Zuschauer - genauer gesagt Mitglieder eines Festspiel-Fördervereins - mit auf der Bühne? Sollen auch die Zuschauer irgendwie dazugehören? Als Annäherung an den Gesangswettstreit vielleicht, wo das Publikum laut Wagner auch rebelliert? Dann wären die Buhrufe kluger Teil des Konzepts. Mögliche Antworten bleiben aber leider im Nebel, den der Dampf der Biogas-Anlage produziert. Aber manchmal nützt es auch vielleicht nichts, sich den Kopf allzu sehr zu zerbrechen - zum Beispiel über die Videoinstallation zu Beginn, während das Orchester wunderbar leicht die Ouvertüre intoniert. Bestes Rezept: einfach die Augen schließen und die Musik genießen.
Die 101. Bayreuther Festspiele enden am 28. August. „Tannhäuser“ in Baumgartens Deutung steht noch fünfmal auf dem Spielplan.