Weihnachtsalben: Von Bad Religion bis Nick Lowe
Berlin (dpa) - Punk-Veteranen, Indie-Folker und jede Menge Castingstars: Von sentimental bis subversiv spannt sich der Glockenklang-verzierte Bogen bei den Weihnachtsalben von Bad Religion, Nick Lowe, Bright Eyes, Kelly Clarkson, Mary J. Blige, Erasure, Leona Lewis und Michael Schulte.
Bad Religion: Pogo unterm Baum
Sie singen mit ihren garstigen Punk-Songs gegen die Ungerechtigkeit in der Welt an - mit Weihnachten hatten Bad Religion bisher nichts am Hut. Jetzt haben sie es dennoch getan: „Christmas Songs“ heißt ihr Highspeed-Beitrag mit Klassikern und Traditionals zum Fest. Warum? Diese Lieder seien Monumente, zeitlose Lieder, sagte Gitarrist Brett Gurewitz im Radio-Interview mit „Bullseye“. Aber: „Es ist ganz klar, dass dieses Album als Satire gemeint ist. Und die Satire kommt besser rüber, wenn wir uns an das Original halten.“ Kostprobe? In „Little Drummer Boy“ lässt Schlagzeuger Brooks Wackerman die Snare-Drum ordentlich wackeln - und darunter schreddern Bad Religion „California über alles“ von den Dead Kennedys. Und ein Schuss Sex Pistols („Anarchy in The U.K.“) hallt auch noch durch die Winternacht - bis der Baum brennt. „Es ist vielleicht das subversivste Album, das wir jemals gemacht haben“, sagt Brett Gurewitz.
Bei Nick Lowe klingt Weihnachten nur selten sentimental
Er musste „etwa sechsunddreißigeinhalb Sekunden“ über die Bitte seiner Plattenfirma nachdenken, das Weihnachtsalbum „Quality Street“ aufzunehmen. Dann machte sich Nick Lowe (64), der weißhaarige Grandseigneur des britischen Pop, mit seiner Band ans Werk. Beim Urvater des Pubrock und New Wave kam natürlich keine übermäßig sentimentale Christmas-Platte mit totgenudelten Standards heraus. Sondern eine stilsichere Sammlung mit eigenen Songs, Coverversionen (u.a. von Ron Sexsmith und Ron Woods 70er-Jahre-Band Wizzard) sowie meist weniger bekannten Weihnachtsliedern. Nick Lowe glänzt als augenzwinkernder Crooner, die Bandbreite der zwölf Stücke reicht von Rockabilly und Country-Folk über Fifties-Pop bis zu Latin und samtenen Balladen. Einmal wird es dann doch sehr anrührend: bei Lowes Neukomposition „I Was Born In Bethlehem“, in der er die Weihnacht vor 2000 Jahren aus Sicht des Jesuskindes schildert.
Schräg-berührende Weihnachten mit Bright Eyes
Nicht mehr ganz neu ist „A Christmas Album“ von Bright Eyes, das erstmals 2002 in limitierter Auflage als Benefiz-Platte für ein Aids-Projekt in Nebraska erschienen ist - und gleich vergriffen war. Neu aufgelegt erscheint das Album jetzt erstmals auch bei uns. Dabei ist ein großer Teil der Saddle-Creek-Familie: Conor Oberst, Orenda Fink, Maria Taylor, Jake Bellows und viele mehr. „Little Drummer Boy“, „White Christmas“, „Silent Night“ - kein wirklick überraschendes Weihnachtsrepertoire, aber was die Indie-Folker aus Omaha daraus machen, ist zwischen Herzrührung und Verstörung angesiedelt. Viele Songs sind wie leise rieselnde Indie-Folk-Schneeflöckchen, und wen das Zusammenspiel von singender Säge und Trompete in „Oh Little Town of Bethlehem“ nicht erweicht, hat ein steinernes Herz und ist für Weihnachten noch nicht bereit. Das aber ist nur die eine Seite: Was Bright Eyes beispielsweise mit „Little Drummer Boy“ machen, ist ein großes Werk einer lustvollen Fast-Zerstörung. Immer wieder blitzt hier an allen Ecken und Enden das verstörende Genie von Conor Oberst durch, der mit seinen Mitspielern auf „A Christmas Album“ mit dekonstruktiver Freude zu Werke ging. Ein bittersüßes Album, damals aufgenommen in Conors Bude, das zu jeder Jahreszeit funktioniert.
Kelly Clarkson: Frisch verheiratet und schwanger
Das werden schöne Weihnachten für Kelly Clarkson: frisch verheiratet und schwanger. Allerdings hat die Sängerin heftig unter Schwangerschafts-Übelkeit zu leiden, wie sie gerade dem US-Sender NBC verriet: „Ich weiß nicht, warum sie es morgendliche Übelkeit nennen“, sagte sie, „ich habe das den ganzen Tag und die ganze Nacht lang“. Sei's drum, das Fest der Liebe kann kommen, das die „American Idol“-Gewinnerin mit ihrem abwechslungsreichen Album „Wrapped In Red“ zwischen Tradition und Moderne versüßt. Für jede Stimmung ist gesorgt: Der Mix aus Klassikern und Eigenkompositionen spannt den Bogen von Rock'n'Roll, R&B und Pop bis Country. Da klingen die Glocken, säuselt das Saxofon, klimpert das Klavier, schwelgen die Bläsersätze, schmelzt die Trompete - die perfekte Ummantelung für die ausdrucksstarke Stimme von Kelly Clarkson, die vor allem als Swing-Lady eine großartige Figur macht. „Wrapped In Red“ sei ihr „Lieblingsalbum“, sagte Kelly Clarkson im Interview mit dem Magazin „Time“. Das sei „echt komisch, weil es sich um Weihnachtslieder handelt, aber so ist es eben.“
Mary J. Blige setzt auf Besinnlichkeit
Sie gilt als die „Queen of Hip Hop Soul“ und wurde immer wieder mit Größen wie Chaka Khan und Aretha Franklin verglichen. Dem überwiegend eher quietschbunten und leicht vergänglichen R&B, der in rauen Mengen produziert und vermarktet wird, setzte Mary J. Blige seit Anbeginn ihrer Karriere eine künstlerische und emotionale Ernsthaftigkeit entgegen, die es nicht mehr oft zu entdecken gibt. Keine Experimente gibt es allerdings auf ihrem ersten Weihnachtsalbum „A Mary Christmas“, das durchweg auf die ewigen Klassiker wie „Little Drummer Boy“ oder „The Christmas Song“ setzt. Dass sie den „Pinocchio“-Song „When You Wish Upon A Star“ mit Babra Streisand im Duett singt, ist kein Zufall. „A Mary Christmas“ ist gehobene und perfekt inszenierte Unterhaltungsmusik - einfühlsam, aber auch ein wenig langweilig. Nichts stört hier die Besinnlichkeit. Zum Schluchzen schön aber ist das auf Französisch gesungene „Petit Papa Noël“.
Erasure: Gaudete, gaudete!
Warum nicht mal Latein, werden sich Erasure gesagt haben: „Gaudete, gaudete! Christus est natus Ex Maria virgine, gaudete!“, singt Andy Bell zur Geburt Jesu und revitalisiert mit Vince Clark damit einen A-capella-Hit der britischen Folkband Steely Span, die in den 70er Jahren ein Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert in die Charts brachte. „Ich habe meinen inneren Chorjungen wiedergefunden“, sagte der jubilierende Bell laut Mitteilung seiner Plattenfirma Mute. Bereits im Februar versetzten sich die beiden Synthiepopper für ihr Album „Snow Globe“ in Weihnachtsstimmung und Andy Bell gab die Devise aus: „Ich sagte Vince, dass die Musik wie Eissplitter oder sinkende Schneeflocken klingen solle.“ Letztlich haben Erasure ihren Mix aus Traditionals und Eigenkompositionen in einen warmen und fluffigen Synthiesound gebettet, der mehr nach Frau Holle als an Caspar David Friedrich („Das Eismeer“) gemahnt.
Leona Lewis legt Glam-Geschenke unter den Baum
Endlich einmal ein Album ohne „Little Drummer Boy“. Aber auf den Irving-Berlin-Klassiker „White Christams“, der durch Crooner Bing Crosby weltberühmt wurde, mag auch Leona Lewis bei ihrer weihnachtlichen Liebeserklärung „Christmas, My Love“ nicht verzichten. Dagegen setzt sie aber mit sicherer Hand den Weihnachtshit „I Wish It Could Be Christmas Everyday“ der wunderbaren Glam-Band Wizzard, die sich wiederum an Phil Spectors „Christmas (Baby Please Come Home)“ orientiert haben. Saxofon ist Trumpf - und beide geben den schwungvollen Takt des Albums an. Damit ist „Christmas, My Love“ auch eine wunderbare Zeitreise - nicht unbedingt 2000 Jahre zurück, aber hauptsächlich und vornehmlich bis in die 60er und 70er Jahre. Überhaupt hat die Gewinnerin der Castingshow „The X Factor“ (2006) einen winterzauberlichen Gemischtwarenladen aufgemacht, der mit Traditionals („O Holy Night“), Eigenkompositionen („Your Hallelujah“) und Klassik (Schuberts „Ave Maria“ mit einer sagenhaften Stimme gesungen) prall gefüllt ist. Perfekt für die Party nach dem Geschenkeauspacken mit einem besinnlich-herzerweichenden Ausklang.
Michael Schulte setzt auf Klassiker
Gewonnen hatte er zwar nicht, aber bei der Castingshow „The Voice of Germany“ hinterließ Michael Schulte dennoch einen starken Eindruck. Mit „Wide Awake“ legte er im letzten Jahr sein erstes Album vor, das sich immerhin auf Platz 54 platzieren konnte. Kein Überflieger, aber dennoch ein Achtungserfolg. Erstaunlich, dass der sympathische Wuschelkopf sich als Nachfolger ausgerechnet ein Weihnachtsalbum ausgesucht hat, das normalerweise im Laufe einer Karriere erst viel später dran ist. Sei's drum - „My Christmas Classics“ ist ein besinnliches, karg instrumentiertes Singer-Songwriter-Album im Christmas-Tempo (mit Glockenspiel!) geworden, das allerdings auf wenig überraschungsreiche Klassiker wie „Let It Snow“ oder „White Christmas“ setzt. Wer aber in diesem Jahr keine Lust auf die Wham!-Version von „Last Christmas“ hat, kann diesmal auf einen Schulte zurückgreifen. Und neben einer ergreifenden Version von Leonard Cohens „Hallelujah“ hat Michael Schulte mit „What Christmas Is About“ sogar einen eigenen Weihnachtssong im Angebot, der wieder Lust auf ein „reguläres“ Album macht.