Werden Festivals zu Wohlfühlevents?
Scheeßel (dpa) - Die Festival-Saison ist im vollen Gange. Fast jedes Wochenende feiern Tausende Musikfans tagelang irgendwo in Deutschland. Viele von ihnen sind hart im Nehmen.
Sie vertilgen Dosenravioli und Bier aus Plastikbechern, ertragen vermüllte Campingplätze, stinkende Klos und endlose Schlangen vor den Duschen. Betrunkene, die nachts in ihr Zelt fallen und Nachbarn, die rund um die Uhr laut feiern, gehören für sie einfach dazu.
Doch nicht jeder liebt diese spezielle Atmosphäre. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ekeln sich 81 Prozent der befragten Festivalbesucher vor den Sanitäranlagen. 69 Prozent sind genervt von den vielen Betrunkenen. Und die Veranstalter haben längst reagiert.
Wer es ruhiger, sauberer, gemütlicher mag, kann in Luxus-Zelten, Hütten oder gleich im Hotel übernachten. Beim Melt!-Festival in Sachsen-Anhalt können Musikfans zum Beispiel in bunten Holzhütten schlafen, beim Deichbrand in Niedersachsen eine eigene Parzelle mit gepflegtem Rasen und Platzwart pachten. Auch bei Rock am Ring (Rheinland-Pfalz) gab es Anfang Juni viel Interesse an der „Experience“, wie der Veranstalter seine Komfort-Zeltzone mit gerade mal 800 Plätzen nennt. Klein und exklusiv sollte diese sein.
Am kommenden Wochenende werden Zehntausende Besucher auf dem Hurricane-Festival im niedersächsischen Scheeßel wieder dicht an dicht in ihren Zelten hausen. Drei Tage im Ausnahmezustand. Doch mitten im Trubel gibt es eine Oase der Ruhe. „Wir haben in den letzten Jahren immer wieder Anfragen bekommen, ob das nicht anders geht“, sagt Festival-Sprecherin Katja Wittenstein. Seit vergangenem Jahr bietet der Veranstalter deshalb ein Luxus-Camp an und hat die Plätze in diesem Jahr noch einmal verdoppelt.
Dort nächtigen Musikfans nach Auftritten von Bands wie Placebo oder Farin Urlaub in Wohncontainern oder geräumigen Zelten, in weichen Betten mit Decke und Kissen statt Schlafsack. Befestigte Wege schützen vor schlammigen Füßen, Klos und Duschen sind sauber, Mülleimer reichlich vorhanden.
Vorbei sind die Zeiten, als der Festivalgemeinde ein paar Bierstände und Pommesbuden genügten. Heute gibt es Sushi, veganes Essen, Bio-Flammkuchen und hippe Cocktails. Für jeden Geschmack soll etwas dabei sein. „Man hat nicht eine homogene Gruppe auf den großen Festivals“, sagt der Freizeitforscher Rainer Hartmann von der Hochschule Bremen. Die Spannbreite reiche von Schülern bis zu Babyboomern, die Angebote müssten deshalb vielfältig sein. Viele Festivals hätten klein angefangen, mittlerweile aber einen Professionalisierungsschub erfahren. „Jetzt stecken da ganze Organisationsapparate dahinter“, sagt Hartmann.
Doch manche mögen es weiterhin spartanisch: Janine Wulf fährt schon seit etlichen Jahren zum Deichbrand-Festival am Flugplatz in Nordholz. Zelten zwischen all den anderen ist für die 25-Jährige ein Muss. „Wir fahren dahin, weil wir den Trubel wollen.“ Auch Hauke Hamann ist überzeugter Festivalfan. Für Luxus-Camping hat der 31-Jährige kein Verständnis. „Da frage ich mich, wieso solche Leute überhaupt auf ein Festival wollen. Da geht der ganze Spirit verloren.“