Wilco überraschen ihre Fans mit Gratis-Coup
Berlin (dpa) - Kein Werbefeldzug, kein Internet-Hype, nicht mal dezent gestreute Gerüchte in Fan-Foren - doch plötzlich ist es da, das neue Album der großen US-Rockband Wilco.
Und damit nicht genug, die elf Songs von „Star Wars“ sind seit Freitag äußerst bequem mit nur wenigen Mausklicks auf der Wilco-Webseite per Download erhältlich - kostenlos. Ein Überraschungscoup, den sich in Zeiten von Streamingdiensten wie Spotify und rapide sinkenden Plattenumsätzen nicht viele Musiker leisten (können).
Als erste Mega-Band des WWW-Zeitalters hatte es Radiohead vor acht Jahren mit „In Rainbows“ vorgemacht, aber immerhin im Netz noch ein kleines Preisschild an ihr Produkt geheftet: Jeder sollte zahlen, was ihm die Sache wert war - viele ließen es trotz der hohen Qualität der Songs bleiben. U2 verärgerten im Vorjahr selbst treue Verehrer, als die Iren urplötzlich neue Lieder via Apple der halben Welt gratis auf den Rechner luden. Und Soul-Star Beyoncé brachte 2013 kurz vor Weihnachten ohne Ankündigung auf dem Internetportal iTunes ein Studioalbum heraus - gegen Cash.
Auch Wilco sind - wie die eben Genannten - längst eine Band, die es finanziell verkraften kann, ihre Musik ganz ohne PR-Bohei eine Zeitlang zu verschenken („Star Wars“ wird ab 21. August als CD regulär im Handel sein, später auch auf Vinyl). Die Band aus Chicago um Frontmann Jeff Tweedy (47) hat seit 20 Jahren stetig ihren Ruhm gemehrt, gilt als eine der spannendsten amerikanischen Folkrock-Formationen, als fabelhafte Live-Truppe - und nicht zuletzt sind es sechs nette Leute mit Bodenhaftung, die ihre Fans lieben und dafür zurückgeliebt werden.
Dass Wilco bei den Kritikern fast nur „Daumen hoch“ erleben und sich ihre Alben inzwischen gut (in Europa) bis sehr gut (in den USA und Kanada) verkaufen, macht Großzügigkeit noch leichter. Zuletzt kam das Karriere-Highlight „The Whole Love“ 2011 in den US-Charts auf Rang 5, in Deutschland auf Platz 14. Als künstlerische Meilensteine gelten auch das avantgardistische „Yankee Hotel Foxtrot“ (2001 wegen Streits mit der Plattenfirma ebenfalls zunächst nur im Netz veröffentlicht) und das traumhaft schöne „Sky Blue Sky“ (2007).
Tweedy, ein meist gemütlicher Zausel mit Hang zu Melancholie und gelegentlicher Muffeligkeit, vor allem aber ein formidabler Sänger, Songschreiber und Gitarrist, wollte mit dem „Star Wars“-Geschenk die Fans überrumpeln. „Das fühlte sich nach Spaß an. Und was bringt mehr Spaß als eine Überraschung?“, begründet er auf Facebook seine unkonventionelle Veröffentlichungspolitik.
Doch auch für eine renommierte Band wie Wilco ist letztlich „die Wahrheit auf dem Platz“ - will heißen: Die Musik sollte möglichst immer gut sein. Wie gut ist also „Star Wars“? Erster Eindruck: tolles Albumcover; die Katze könnte eine Anspielung auf all diese niedlichen Stubentiger-Videos im Internet sein. Die Spielzeit ist mit 34 Minuten kompakt wie zu guten alten Vinyl-Zeiten. Der erste Song: eine kurze, schräge E-Gitarren-Spielerei. Nun ja, muss man mögen.
Elektrische Gitarren in allen Variationen - vom Virtuosen Nels Cline und Jeff Tweedy selbst gespielt - stehen auch danach im Zentrum eines entschlackten, rauen, fast spröden Klangbildes. Von den kunstvoll ausufernden Folk-Exkursionen des Vorgängers „The Whole Love“ ist kaum etwas geblieben. Wilco haben eine enorm frische Rock 'n' Roll-Platte aufgenommen (Beispiele: „More...“, „Random Name Generator“, „Pickled Ginger“, „King Of You“). Und sie frönen diesmal nur selten ihrer alten Vorliebe für die Beatles, sondern zitieren The Kinks, T. Rex oder The Clash.
Vor allem aber der coole New-York-Sound von Velvet Underground oder Television hat bei Wilco Spuren hinterlassen, etwa in „The Joke Explained“ oder „You Satellite“, einem aufbrausenden Fünf-Minuten-Song, der zum Besten gehört, was diese Band bisher abgeliefert hat. Daneben feine Balladen („Where Do I Begin“, „Magnetized“) und charmante Indiepop-Songs („Taste The Ceiling“).
Fazit: „Star Wars“ ist ein bisweilen sperriges, dabei aber sehr liebenswertes Übergangswerk, mit dem das Sextett auch nach zwei Jahrzehnten keinerlei kreative Ermüdung zu erkennen gibt. „Klingt, als ob Ihr Jungs Spaß daran hattet, einfach drauflos zu spielen, und darauf kommt's doch an“, so das spontane Urteil von Wilco-Fan Judson Brown auf Facebook. Kann man so sehen.