Nick Cave in Düsseldorf: Songs zwischen Zartheit und Apokalypse
Er ist ein Bühnentier und liefert einen emotionalen Abend mit Tiefgang. Nick Cave und seine Band begeistern in Düsseldorf.
Düsseldorf. Zugegeben: Solche Textzeilen erinnern normalerweise an schrecklichste Musikgeschmacksverbrechen. Aber wenn Nick Cave in der ausverkauften Halle an der Siegburger Straße vor 7500 Menschen den „Higgs Boson Blues“ singt und dabei „Boom! Boom! Boom! Can you feel my heart beat?“ schreit, dann ist das nichts Lächerliches oder Schlimmes. Dann ist das vielmehr bereits im vierten Song des Abends das Versprechen, dass dieses Konzert ein intensives werden wird. Sogar ein maximalintensives. Bei Nick Cave gelten schließlich andere Maßstäbe.
Auftritte des Australiers und Wahl-Engländers mit seiner Band The Bad Seeds sind keine normalen Auftritte im Sinne von Konzerten. Sie sind Messen der Musik mit allem Drum und Dran: Kult, Verehrung, Anbetung. Und das ist mitnichten blasphemisch gemeint. Das ist Tatsache. Cave ist ein Prediger, der predigt. Von Gott und der Welt. Von Euphorie und seelischen Abgründen. Er predigt Mörderballaden und Schauerstücke von der „Red right hand“, mit der die Leute gemeuchelt werden. Vom „Mercy Seat“, dem elektrischen Stuhl, auf dem der Todgeweihte sitzt und seine letzten Gedanken denkt. Und vom Sandmann, der getötet wird.
Er hebt seine Geliebte in Engelssphären, wenn er sie „Into my arms“, in seine Arme, schließt. Und er lässt mit den Songs seines aktuellen Albums „Skeleton Tree“ die größtmögliche Tragödie Revue passieren, die einem Menschen widerfahren kann: Während den Aufnahmen zur Platte stürzte Caves 15-jähriger Sohn an den Cliffs von Brighton in den Tod. Das greifbar Morbide, das der Künstler seit jeher in seinen Songs verbreitet, die oftmals durchscheinende Faszination für die Vergänglichkeit des Lebens und das Dunkle auf der Welt, das Cave in großen Teilen der Popkultur erschloss, wurde auf einmal Realität.
Und der so hart von der Wirklichkeit Getroffene stellt sich ihr seitdem und überführt Wut, Trauer und Überlebenswillen vielleicht noch mehr in sein Live-Gebaren als je zuvor. Denn Cave keift und brüllt und wirft sich immer und immer wieder und gefühlt noch häufiger und die Welt der technischen Gerätschaften um ihn herum vergessend in die Menge als früher.
Er lässt sich von Händen auffangen, stützen, aufrichten. Er blickt die Menschen vor ihm ebenso wild wie liebevoll an. Er streckt seine Finger aus und streichelt mit ihnen sacht die Finger seiner Fan-Gefolgschaft. Und hinter ihm spielt diese wohl grandioseste aller Begleitbands nach Springsteens E-Street-Recken all die Songs zwischen Zartheit und Apokalypse.
Wenn Cave der Prediger und Schamane ist, dann ist sein kongenialer Komponistenpartner Warren Ellis der bärtige Hexenmeister an Geige und Gitarre, der manches Stück gegen Ende mit seinem Instrument zerprügelt, zerschlägt, zerreißt und erst recht in den Orkus des emotionalen Tohuwabohus schleudert.
Und dann, am Schluss, als die Messe nach zwei Stunden und 15 Minuten des wilden Ritts durch den Bad-Seeds-Kosmos gelesen ist, schlägt sich Cave, gebeutelt vom Leben und geprägt von seiner dunklen Kunst, plötzlich doch noch eindeutig auf die Seite der Freude und Euphorie: Er holt Dutzende Zuschauer zu sich auf die Bühne und singt mit ihnen die Geschichte des „Stagger Lee“.
Und er durchmisst mit großen Schritten den Zuschauerraum, stellt sich in der Mitte der Halle auf ein Gitter, klatscht im Stakkato zum „Weeping Song“. Und lächelt und lacht. Ein Schluss-Segen nach Cave-Art.