Palermo Palermo Pina-Bausch-Tänzerin: „Das Stück spiegelt den Ort, wo wir waren“
Nazareth Panadero, langjährige Tänzerin von Pina Bausch, über die Wiederaufnahme von „Palermo Palermo“.
Wuppertal. Das Tanztheater Wuppertal nimmt Pina Bauschs „Palermo Palermo“ wieder auf. Das Meisterwerk von 1989 beginnt mit dem Einsturz einer Mauer. Wir sprachen mit Nazareth Panadero, seit bald 40 Jahren Ensemblemitglied, über die visionäre Kraft von Pina Bausch, ihre berühmte Spaghetti-Szene und den Neustart 2017.
Frau Panadero, mögen Sie eigentlich Spaghetti?
Nazareth Panadero: Puh (kichert) jojojo.
Es gibt in „Palermo Palermo“ die legendäre Szene . . .
Panadero: Ja, sie ist immer ein Riesenerfolg. Ich gebe jeder Nudel meinen Namen „Panadero, Panadero, Panadero — alles m e i n e“. Das ist inspiriert von der Kindersprache. Ich bin die Älteste von vier Geschwistern und hab mir das bei meinem kleinen Bruder abgeguckt. Aber es ist gar nicht dieser kleine Moment, den ich so interessant finde.
Sondern?
Panadero: Es ist Pina Bauschs Komposition, die das Niveau ausmacht. Vor meinem Auftritt gibt es einen Machtkampf zwischen zwei Männern. Erst nimmt der eine sich mit Gewalt eine Zigarette von dem anderen. Später folgt die Rache des kleinen Mannes. Er hat seine Art, sich zu verteidigen.
Worum geht es in diesen Szenen eigentlich?
Panadero: Meins! Wir sind in Palermo! „Cosa nostra — unsere Sache.“ Das ist Mafiasprache. Es ist ein Stück mit viel Gewaltpotential. Aber das sind meine Assoziationen. Pina hat es nie so klar gesagt.
Auch Früchte spielen eine große Rolle. Julie Shanahan will mit matschigen Tomaten beworfen werden, das Ensemble balanciert Äpfel auf den Köpfen und Andrey Berezin „erschießt“ Tomaten. Was lief denn da in Palermo?
Panadero: Im Süden sind Nahrungsmittel immer da. Es ist wie im Paradies. Ich komme auch aus dem Süden. Man kann immer irgendwo nach einer Feige oder Traube greifen. Das hat auch etwas Erotisches. Im Norden ist alles versteckt.
Was ist das Thema des Stückes?
Panadero: Wir waren 1989 drei Wochen in Palermo. Pina hat eine Form gefunden, für das, was sie dort vorgefunden hat. Sie hat die Empfindungen, die man auf Sizilien hat, unglaublich stark und klar umgesetzt. Das Stück spiegelt wirklich den Ort, wo wir waren.
„Palermo Palermo“ beginnt mit der spektakulärsten Eingangsszene ihres gesamten Werks: einem zugemauerten Bühnenportal, das gleich zu Anfang einstürzt. Die Uraufführung war im Dezember 1989. Eine Anspielung auf den Mauerfall in Berlin oder Zufall?
Panadero: Pina war zuerst. Es ist ein erstaunlicher Zufall. Aber sie hatte eine große Sensibilität. Sie hat die Zeit gefühlt, in der sie gelebt hat. Sie war eine große Visionärin.
Nazareth Panadero vom Tanztheater Wuppertal
Wie kam es zu diesem Bühnenbild?
Panadero: Soweit ich weiß, hatte Peter Pabst viele Ideen, aber Pina hat alle verworfen. Irgendwann sagte er dann schon ganz entnervt: ,Dann bauen wir eben eine Mauer und lassen sie einstürzen.’ Und Pina sagte: ,Das ist es.’
Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Panadero: Es war eine fantastische Zeit! Für mich als Spanierin war der Mauerfall eine starke Erfahrung. Mein Mann ist Pole, ich kenne die Grenze Ost-West gut. Die Strecke Wuppertal-Warschau kam mir immer unglaublich lang vor. Plötzlich war sie ganz kurz.
Im Mai 2017 beginnt eine neue Ära für das Tanztheater Wuppertal. Adolphe Binder übernimmt die künstlerische Leitung. Freuen Sie sich auf den Neustart?
Panadero: Ja, es ist der richtige Zeitpunkt. Als Pina gegangen war, konnten wir alle keinen klaren Gedanken fassen. Wir haben einfach weitergemacht, weil wir mit ihr und ihrem Werk verbunden bleiben wollten. Viele haben gesagt, ohne Pina gibt es kein Überleben. Aber inzwischen sind wir in der achten Saison. Schritt für Schritt sind wir erwachsener, freier geworden. Ich finde das fantastisch. Wir sind ein kreatives Kollektiv und müssen jetzt etwas Neues anfangen, sonst sind wir nur ein Museum.
Es gab ja vor einem Jahr einen neuen Abend mit vier zeitgenössischen Choreografen. Aber der kam nicht gut an.
Panadero: Es war nur ein kleiner Versuch unter schlechten Bedingungen. Wir hatten nur vier Wochen Zeit zwischen zwei Touren.
Sie haben Adolphe Binder ja schon kennengelernt. Wie ist Ihr Eindruck?
Panadero: Sie ist offen, intelligent, jung und sehr neugierig auf uns. Es war sehr berührend, wie sie versuchte, mit uns in Kontakt zu treten, so respektvoll. Wir sind auch eine außergewöhnliche Compagnie (lacht). Wir bestehen aus drei Generationen mit Tänzern von Mitte 20 bis 65 Jahren.
Sie haben die Sechzig überschritten. Wie lange wollen Sie tanzen?
Panadero: Pina hat mir immer die erwachsenen Rollen gegeben, die der Dame. Dafür bin ich ihr heute dankbar, denn die kann man lange tanzen. Aber ich habe schon meine Grenzen. Im „Frühlingsopfer“ trete ich nicht mehr auf. Ich werde tanzen, solange es geht.