Bridget Breiner, die neue Chefchoreografin des Ballett am Rhein, präsentiert an ihrem ersten Abend „Signaturen“ Die Rückkehr des Spitzenschuhs

DÜSSELDORF · Smaragdgrün, kobaltblau und lila leuchten die Schwanzfedern der Paradiesvögel. Sie bilden eine pyramidenartige Skulptur, aus deren Mitte ein junger Mann in Schwarz entsteigt. Zwischen Homo Sapiens und Vogel sind diese Wesen angesiedelt, die Lucas Erni nun neugierig beobachtet.

In „Four Schumann Pieces “ tanzen Paula Alves, Simone Messmer und Orazio di Bella (v.l.).

Foto: Yan Revazov

Mit einem Blatt Papier, versehen mit Längenmaß-Einheiten, vermisst er den Raum. Alexander von Humboldt, der Weltgelehrte und Forschungsreisende (1769-1859), inspirierte Bridget Breiner, die neue Chefchoreografin des Ballett am Rhein, zu der zentralen Figur ihrer ersten Uraufführung „Biolographie“ zu Rachmaninows 2. Klavierkonzert. Er repräsentiert den Menschen, der seinen Platz sucht in der Gesellschaft, in der Natur, kurz in der Welt.

Wo kommen wir her? Diese Frage schwebt über dem gesamten ersten Programm der neuen Direktion Breiner/Raphaël Coumes-Marquet in Düsseldorf-Duisburg. Sie ist auch künstlerisch gemeint. So verweist die US-Amerikanerin in dem dreiteiligen Abend auf ihre neoklassischen Wurzeln mit Werken der Wegbegleiter Hans van Manen und David Dawson. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert von der Rückkehr des Spitzenschuhs. In den letzten vier Jahren hatte er unter Demis Volpi – zugunsten großer Vielfalt – keine zentrale Rolle gespielt.

Biografie, Biologie, Geografie – all das versteckt sich in der Worterfindung „Biolographie“. Sinnfällig spiegelt sich dieser Anspruch im atmosphärischen Bühnenbild von Jürgen Franz Kirner, wenn im zweiten Teil der Raum zu einer Mischung aus Galerie und Bibliothek wird. 20 horizontale Reihen mit antiquiert anmutenden Zeichnungen von Pflanzen und Tieren hängen vom Bühnenhimmel bis zum Boden. Zur melancholischen Musik Rachmaninows tanzt Lucas Erni nun in verschiedenen Konstellationen, darunter einen innigen Pas de deux. Das Programmheft verweist auf die Figur der „Tochter“ in diesem zweiten Teil, der all unseren Ahnen gewidmet ist. Ein Anspruch, der sich nicht erfüllt. Man ist irritiert und sucht nach Sinn in diesem Stück.

Erst im dritten Teil stellt sich der Eindruck des Zusammenfließens der Generationen und Lebewesen zu einem Natur-Kosmos ein. Das Ensemble in naturfarbenen Trikots mit floralen Tattoo-Mustern, mal auf Spitze, mal in Schläppchen, schlägt Purzelbäume, hüpft auf der Stelle, steht auf einem Bein wie ein Storch, lässt die Hände flattern wie Fabelwesen auf einer Waldlichtung. Eine Vision von Humanität? Im Hintergrund mahnt ein Eisberg...

Das neu formierte Ensemble glänzt. Was es leisten kann, wird vor allem deutlich in David Dawsons „Empire Noir“ (2015) in deutscher Erstaufführung. Zehn Tänzerinnen und Tänzer in schwarz-grauen Ganzkörpertrikots wirbeln durch hochvirtuoses choreografisches Material. Wie Nachtgestalten vor schwarzem Hintergrund treibt es sie umher in ständig wechselnden Formationen. Der technische Anspruch ist enorm. Dawson spielt mit dem klassischen Kanon, setzt minimalistische und akrobatische Akzente, inszeniert gewagtes Partnering. Doch während dramatische Musik ständige Gefahr suggeriert, bleibt der Tanz Selbstzweck. „Empire Noir“ beeindruckt, berühren tut es nicht.

Hans van Manens „Four Schumann Pieces“ dagegen gelingt es, in seiner schlichten Klarheit, Sympathie insbesondere für die zentrale Figur zu wecken. Schon durch die Wahl der romantischen Musik, dem 3. Streichquartett von Robert Schumann, ist es ein ungewöhnliches Werk. Es entstand 1975 für das Royal Ballet London und den Principal Dancer Anthony Dowell. Es war das erste Mal, dass der Meisterchoreograf einen männlichen Tänzer ins Zentrum rückte. Später entdeckte sogar der Jahrhundert-Tänzer Rudolf Nurejew diesen Part für sich.

Eine große Ehre also für Orazio di Bella, den Martin Schläpfer ans Haus holte. Er hat die verinnerlichte Persönlichkeit dafür, ganz in sich zu ruhen, während fünf Paare hinter ihm vorüberziehen, ihn wie in einer Rêverie umtanzen und versuchen, in ihre Welt ziehen. Den technischen – und konditionellen – Anforderungen ist er absolut gewachsen.

Es gibt knisternde Pas de deux – mit einer Frau, mit einem Mann. Hier war van Manen vor fast 40 Jahren weit voraus. Der Eigenbrötler durchlebt Ängste und Sehnsüchte, die durch den Strom der Paare durchkreuzt werden. So zieht er sich immer wieder zurück in die Rolle des Zuschauers. Im Finale brilliert di Bella noch einmal in einer grandiosen, sich immer rasanter entwickelnden Sequenz mit den Paaren, an deren Ende er mit ausgebreiteten Armen vor dem Publikum auf die Knie fällt. Er könnte strahlen, doch der Sizilianer bleibt ernst. Als könne er sein Glück kaum fassen.

Termine: 27. Oktober, 3., 6., 7., 9., 16., 24. und 30. November im Opernhaus Düsseldorf
Dauer: 165 Minuten, zwei Pausen
Telefon: 0211/89 25 211