Düsseldorf "Reichspark" im NRW-Forum: „Deuscthland“ durch die Böhmermann-Brille
Der TV-Satiriker zeigt im NRW-Forum seine erste Ausstellung — natürlich nicht ohne den typischen Humor — verbunden mit schonungsloser Offenheit.
Düsseldorf. Am Einreise-Schalter für Ausländer herrscht kein Gedränge. Links bei den Deutschen sieht das anders aus, da knubbelt es sich. Den Schalter wechseln und als Ausländer einreisen? Unmöglich. Die Grenzbeamtin in der behördengrauen Hemdjacke ist streng, rüde weist sie den Besucher in die Schranken. Ihr Kollege schaut sich den Pass an, fragt tonlos: „Sind Sie Deutsche?“ Erst nach einem „Ja“ darf man „Deuscthland“ (richtig — der Fehler ist Absicht) betreten. Es ist die erste museale Ausstellung von TV-Satiriker Jan Böhmermann. Sie ist wunderbar politisch-provokativ und ist ein Muss für alle Fans (bis zum 4. Februar im Düsseldorfer NRW-Forum).
Spätestens seit dem Varoufakis-Mittelfinger-Fake-Fake und allerspätestens seit seinem Schmähgedicht für Erdogan wird jede Statusmeldung, jede Äußerung, alles, was Böhmermann so von sich lässt, beobachtet, interpretiert und eingeordnet. Schließlich schreckt der 36-Jährige vor nichts zurück — und das ist gut so. Der Großbeleidiger hat seinen Job schließlich von der Pike auf als Stichwortgeber bei Harald Schmidt gelernt. Heute ist der Grimme-Preis-Träger selbst Kult. Scharfe Sicherheitsvorkehrungen sind für den „Neo-Magazin-Royale“-Moderator kein Neuland. Und so gehören die Securitykräfte, die am Museumseingang die Taschen kontrollieren und Leibesvisitationen vornehmen, nicht zur Performance. Die erhöhten Sicherheitskontrollen gelten besonders für Tage, an denen Böhmermann selbst im Haus ist, heißt es — so wie am Donnerstag etwa, auch wenn sich der Künstler selbst bei der Presse-Preview nicht zeigt. Dass man am Einreise-Schalter auch sein Handy abgeben muss, gehöre allerdings zum Konzept. Hat man die Grenze einmal legal überquert, spielt das alles keine Rolle mehr.
Böhmermann hat die Ausstellung mit seiner Kölner Kreativschmiede Bildundtonfabrik konzipiert. Das geht natürlich nicht ohne seine typischen Intelligenz-Humor. Perfekt inszeniert nutzt er verschiedene Medien für seine Satiren. Ein Dutzend Exponate wurden eigens für die Schau, die Deutschland zu erfassen versucht, erarbeitet. „Die Gegenwart muss mit Kunst bezwungen werden“, heißt es in der Ankündigung. Dazu die Frage: Ist das noch Satire oder schon Revolution? Den entscheidenden Anstoß zur Schau gab Museumschef Alain Bieber. Es geht um den hässlichen Deutschen und das Thema Macht, Medien, Manipulation. „Kunst muss die richtigen Fragen stellen“, sagt Bieber. „Das ist zeitgenössische Kunst. Die Ausstellung fordert Haltung.“ „Deutschland, tief durchatmen, einfach mal gespannt ’ne Grapefruit essen und aus dem Fenster springen (. . .) Facebook verstaatlichen, Google enteignen (. . .) we are proud of not being proud“ — heißt es im Eingangsstatement, unterzeichnet von Theaterwissenschaftler Chris Dercon.
Dann geht es weiter zum Herzstück der Schau: Mit Virtual-Reality-Brillen kann man eine fiktive 4D-Experience-Achterbahnfahrt im „Reichspark“ Nazi-Disneyland machen, der die Zeit von 1933 bis 1945 zum Freizeiterlebnis erhebt („es gab durchaus auch negative Aspekte“). „Living History wünscht eine unterhaltsame und lehrreiche Reise in Deutschlands Vergangenheit“, heißt es zum Start. Und in der Tat wird dem Achterbahnfahrer richtig schlecht, wenn man in fünf Minuten durch Stalingrad, die Dresdner Bombennacht und hinab in Hitlers Führerbunker rauscht. Der Ausstieg befindet sich natürlich „rechts“.
Zu sehen ist auch das Wander-Outfit von Angela Merkel, das man von den Urlaubsfotos der Bundeskanzlerin kennt — angeblich original, wie ein Brief vom Kanzleramt vermerkt. Die Stoffproben dürfen ausdrücklich angefasst werden.
Am Diskursautomaten kann man sich per Knopfdruck in einer der vier Meinungskabinen entscheiden: schuldig oder unschuldig, Israel oder Palästina, Karriere oder Familie, Ost oder West. Wer abstimmt, wird registriert und fotografiert. Das hochauflösend-biometrische Foto wird auf Twitter geladen und dem digitalen Diskurs zugeführt — die Bildrechte werden abgetreten. Gesichtsverhüllungen in Form von Karnevalsmaske, Burka oder dominanten Brillen sind verboten, ebenso verfassungsrechtliche Symbole und eine kommentierende Mimik.
Merkel in Öl gibt es auch im Kreise ihrer liebsten Verleger Burda und Springer — Böhmermann (Achtung, noch ein Talent!) stand selbst an der Staffelei und signierte.
100 Prozent „echten Hass“ kann man am Automaten ziehen: aus Glücks- werden Hetzkekse. Wer einen Euro reinsteckt, das goldene Papier aufreißt, kriegt den Keks — inklusive Spruch; so etwa von Erika Steinbach — das Zitat wird an dieser Stelle zensiert.