Roter Teppich für Karl Röhrig
Das Von der Heydt-Museum in Wuppertal zeigt die Skulpturen des Bildhauers — unbekannt und doch bedeutend.
Wuppertal. Diesem Mann geht es gut. Wohlgenährt ist er, man könnte auch dick sagen — und das in schweren Zeiten. Selbstgewiss guckt er hinter seiner dicken Zigarre in die Welt: Ihm kann keiner. Ein paar Groschen hat er spendiert für die Winterhilfe der Nationalsozialisten, kann sich dafür ostentativ die Anstecknadel ans Revers heften und bekommt noch einen Heiligenschein mit Hakenkreuz dazu.
Der Bildhauer Karl Röhrig (1886 — 1972) hat diese ausdrucksstarke, nur 36 Zentimeter hohe Holzfigur erschaffen — „sie hätte ihn weltberühmt machen können“, sagt Gerhard Finckh, der Direktor des Wuppertaler Von der Heydt-Museums. „Der Mann von der Winterhilfe“ habe das Potenzial, eine Ikone der Kunst zu werden wie Ernst Barlachs „Singender Mann“ von 1928.
Doch Röhrigs Werk mit den damals innovativen Collage-Anteilen, von der Aluminiumplatte mit der Inschrift „Wir haben geholfen“ über den aus einer Sammelbüchse geschnittenen Heiligenschein bis zur echten Zeitungsseite in der Manteltasche, entstand 1933 — und musste umgehend für die nächsten zwölf Jahre tief im Schrank verschwinden. Denn unter dem Nazi-Regime hätte die Figur des Kriegsgewinnlers ihn nicht berühmt gemacht, sondern auf direktem Weg ins KZ geführt.
Nun rollt Gerhard Finckh, der die Ausstellung kuratiert hat, Karl Röhrig in Wuppertal den roten Teppich aus — diesem „unbekanntesten und doch bedeutendsten Bildhauer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, dessen Werke er als den Gemälden von George Grosz und Otto Dix ebenbürtig einordnet.
Als Prolog stellt der Museumschef Skulpturen von Röhrigs Zeitgenossen auf einem Podest zusammen: Christoph Volls abgemagerter „Nackter Jungen“ und Renée Sintenis’ „Boxer“, Käthe Kollwitz, Gerhard Marcks und Ernst Barlach — hinter denen sich Röhrig keineswegs verstecken muss. Danach lässt Finckh ihn aber nur noch für sich selbst wirken.
Sehr großzügig, sehr wirkungsvoll hat der Museumsleiter die 25 Arbeiten verteilt. Hier gruppiert er drei Frauenfiguren, dort zeigt er den ersten Boxkampf der Kunstgeschichte. Zentral präsentiert er „Zwei Männer im Gespräch“, die deutlich machen, dass Röhrigs gegenständlicher Sozialismus nicht parteipolitisch, sondern moralisch als Bekenntnis zu einer menschlicheren Gesellschaft zu verstehen ist. Wichtige Holzskulpturen wie „Familie Kann“ und das Selbstporträt „Mann mit Sack“ präsentiert Finckh sogar ohne Vitrine. Sie stehen auf rot gestrichenen Sockeln, effektvoll angestrahlt.
Ebenso eindrücklich wie die Skulpturen sind die Zeichnungen aus dem Tagebuch. Röhrig hatte zwar nur eine bescheidene Schulbildung, habe aber dank Zeitungslektüre schon Ende der 1920er Jahre erkannt, dass Deutschland auf den nächsten Krieg zusteuerte, so Finckh.
Das Land — die Zeichnungen zeigen es bestürzend deutlich — wurde ihm mit jedem Jahr mehr zum Gefängnis. Doch für eine Ausreise hat das Geld nie gereicht, oft hat Röhrig nach eigener Aussage in „bodenloser Armut vegetiert“. Das zeigen auch die Werken plastisch. Seine Aussage verdichtet sich in den meist kleinformatigen Arbeiten, die er aus zusammengeklebten Restholz-Stücken und Gips schuf. Die Bronzeabgüsse, die später entstanden, hätte er selbst nie bezahlen können.