Shakespeare-Abend in Düsseldorf Opfer der kalten Lady Macbeth

Düsseldorf · Stehende Ovationen für Regie, Bühne und Schauspieler - das ist das Ergebnis eines großen Shakespeare-Abends in Düsseldorf.

Macbeth (André Kaczmarczyk) reibt sich mit Blut ein und wird, wie bei einem Läuterungs-Ritual, von dem Rächer Macduff in ein blumenbekränztes Grab hineingeführt.

Foto: Thomas Rabsch

Wie ein unschuldiger Junge sitzt Macbeth in einer Zink-Badewanne und wäscht sich das Blut ab. Beine, Rücken und immer wieder Arme und Hände taucht er in das Wasser. Gerade hat der Kind-Mann den von ihm verehrten Duncan, König von Schottland, mit einem Dolch ermordet. Und hat noch einige blutige Taten vor sich. Im Finale reibt er sich mit Blut ein und wird, wie bei einem Läuterungs-Ritual, von dem Rächer Macduff in ein blumenbekränztes Grab hineingeführt. Beim Verlassen von zwei pausenlosen „Macbeth“-Stunden im vollbesetzten Düsseldorfer Schauspielhaus brennen sich suggestive, gewaltige und großformatige Gemälde ins Gedächtnis. Sie stammen von Regisseur Evgeny Titov und dem europaweit renommierten Ausstatter Etienne Pluss. Die beiden und Hauptdarsteller André Kaczmarczyk liefern eine eigenwillige Deutung der Tragödie und einen packenden Shakespeare-Theaterabend, der vermutlich in die (zumindest Düsseldorfer) Theater-Annalen eingehen wird.

Ganz anders als im Düsseldorfer Skandal- und Kult-‚Macbeth‘ von Jürgen Gosch von 2005, stellt Titov den Täter Macbeth als jungenhaftes, verschüchtertes Opfer dar – Opfer der kalten Lady Macbeth, die mit polarweißen Haaren, weiter Robe und finsterer Stimme eher wie Königinmutter denn wie seine Frau wirkt. Und ihm, wie eine alte Paukerin, den „rechten Weg“ weist – ihn zum Mord an Duncan und Macduffs Kindern anstiftet. Macbeth wird gleichzeitig Opfer von drei kahlköpfigen Hexen: Vom  ersten Bild an flüstern sie „dem König von morgen“ die mörderischen Taten ein, genauso wie das Beseitigen derjenigen, die ihm gefährlich werden könnten. Stets an seiner Seite lauert dieses Kassandra-Trio und säuselt unaufhörlich von Unheil.

Titov kürzt extrem Shakespeares Fünfakter, verdichtet ihn auf die Stationen Macbeths. Die Szenen werden mit surrenden, dröhnenden, manchmal klirrenden Geräuschen (Musik: Moritz Wallmüller) untermalt und enden mit digitalem Zischen. Plötzlich: Licht aus, nächstes Bild. Wie Filmschnitte reiht Titov effektsicher die emotional aufgeladenen, energiesprühenden und opernhaften Tableaus aneinander. Die Verdichtung geht so weit, dass von den zahlreichen Nebenfiguren  nur wenige in Erinnerung bleiben. Auch darin spürt man, dass Titov und Etienne Pluss nicht nur im Sprechtheater, sondern auch an großen Opernhäusern arbeiten. Sogar ziemlich erfolgreich.

So liegt anfangs Macbeth, Than von Glamis, dahingestreckt mit blutigen Beinen und Prinzen-Wams auf einem dunklen, kubistischen Felsenberg, dessen geschliffene Kanten gefährlich ausschauen. Die Bluttaten an sich werden nie gezeigt, nur die blutgetränkten Hände und Arme und den Dolch. Gemordet wird in Schlafgemächern und Hinterzimmern. In Letzterem lässt Macbeth die Hosen runter, um mit der Lady männliche Erben zu zeugen. Weniger lustvoll als gewalttätig wirkt diese Szene, zumal die betagte Lady wie ein geschlagener Hund jammert. Ebenso die Szene, in der Macbeth seine gestorbene Lady zudeckt. Dabei bleibt er frei von Trauer und aufwühlenden Gefühlen.

Manuela Alphons als Lady Macbeth macht klar, dass sie der böse Geist und Herrin im Hause ist, schnauzt ihren Mann wie einen Schuljungen an, der wiederum verängstigt und getrieben reagiert. Und handelt. Immer mehr vom Unschuldslamm zum Schlächter mutiert, dabei stets verzweifelt und verängstigt mit zarter Stimme spricht und herumschleicht – über Felsen und durch Gemächer seiner Burg.

Bewundernswert ist erneut die Wandlungsfähigkeit und die Energie von André Kaczmarczyk, der die vielen Facetten des jungen Mörders in immer wieder neuen Tonlagen beschwört und das Psychogramm eines von Geistern ferngesteuerten Wesens entwirft. Titovs Regie arbeitet das mit bestechender Klarheit heraus, auch weil er den Abend so auf den Täter konzentriert, dass freilich für zahlreiche Nebenfiguren und Opfer nur wenig Raum bleibt. Fazit: Ein großer Shakespeare-Abend in Düsseldorf. Stehende Ovationen für Regie, Bühne und Schauspieler.

30. Nov., 5., 19., 20. Dez. unter Telefon: 0211/ 36 99 11