Thriller mit Verschwörungs-Elementen Tatort: Jammergestalten, Saubermänner und Dreckschleudern
Köln · Spannend trotz einiger Schwächen: Der „Tatort – Borowski und die Angst der weißen Männer“ kommt am Sonntag in der ARD. Die Folge beschäftigt sich mit einem höchst aktuellen und brisanten Thema.
Der „Tatort“ in seinem Element: Die Folge „Borowski und die Angst der weißen Männer“ handelt am Vorabend des Weltfrauentags von einem besorgniserregenden Phänomen. Männer, die die Frauen-Emanzipation dafür verantwortlich machen, dass sie bisher keinen Sex erlebt haben, versammeln sich in Internet-Foren, um ihren Gewalt-Phantasien freien Lauf zu lassen.
Wie gefährlich die aus den USA stammende „Incel“-Bewegung (Abkürzung für „involuntary celibat“, dt.: „unfreiwilliges Zölibat“) ist, belegen die Attentate von Oslo, Christchurch, Halle und Hanau. Sie wurden alle von weißen Männern begangen, die neben rassistischen und antisemitischen Einstellungen auch offenen Frauen-Hass zur Schau trugen und in einschlägigen Netzwerken aktiv waren. Die Sorge, dass sich Männer durch die permanente Hetze in den eigenen Echokammern radikalisieren, hat sich längst bewahrheitet.
Das erste Opfer ist Duschanka Tomi (Vidina Popov), die Büroleiterin der Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel). Nach Feierabend wird sie in der Tiefgarage von drei, in weißen Schutzanzügen gekleideten Männern überfallen. Im Zentrum steht vorerst ein anderer Fall: Meike, die weibliche Disco-Bekanntschaft des jungen Einzelgängers Mario (Joseph Bundschuh), wird tot aufgefunden. Jemand hatte ihr K.o.-Tropfen verabreicht, außerdem war sie mit Schlägen und Tritten malträtiert worden.
Regisseurin Nicole Weegmann hat einige Erfahrung mit dramatischen Stoffen, hat Grimme-Preise für „Ein Teil von uns“ und „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ erhalten. Im engeren Krimi-Format gelingt die differenzierte Darstellung nicht ganz so gut, dennoch ist die Hauptfigur kein eindimensionaler Charakter. Da es keine Rechtfertigung für den Hass auf Frauen gibt, verzichtet das Drehbuch von Peter Probst und Daniel Nocke klugerweise auf den Versuch, Erklärungen in Marios Kindheit und Jugend zu suchen. Er ist, was er ist: ein junger Mann, der mit seiner Identität hadert und als scheuer Einzelgänger häufige Kränkungen verkraften muss.
Seltsam allerdings, dass Mario eine Frau kennenlernt, weil die beim Ausparken Probleme hat. Das ist in einem Film, in dem Stereotype zu Hass und Gewalt führen, eine merkwürdige Form von Ironie. Vicky (Mathilde Bundschuh) lässt sich erstaunlicher Weise auch ziemlich flott auf ein Date bei Mario zuhause ein. Als Zuschauer hofft man an diesem ambivalenten Wendepunkt, dass Mario mit Vickys Hilfe doch noch die Kurve bekommen könnte. Zugleich ist man im Wissen um Marios verborgenen Hass um Vicky besorgt. Da ist es ein zwiespältiges Gefühl, dass Kommissar Borowski (Axel Milberg) und Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) ausgerechnet bei diesem Rendezvous das erste Mal vor Marios Tür stehen.
Die zweite männliche Schlüsselfigur des Films ist Autor Hank Massmann (Arnd Klawitter), der ein Buch mit dem Titel „Zurück zum Mann“ geschrieben hat. Er steht für den Typ gebildeter Saubermann, der den „intellektuellen“ Überbau für den Hass liefert. Im Film wird Massmann als mindestens ebenso einflussreich erzählt wie die vielstimmigen Dreckschleudern im Netz. Er hält Vorträge und gibt „Seminare“. Borowski schleicht sich undercover ein, indem er sich als Journalist ausgibt. Vor einer brüllenden Meute lässt Massmann die Maske fallen und hetzt die Männer mit Tiraden gegen die vermeintliche Herrschaft der „Schlampen“ auf.
Was sehr gut zusammenpasst: Borowski und Sahin, die auf Augenhöhe zusammenarbeiten und auch keine zusätzlichen Geschlechterdebatten führen müssen. Das Ermittler-Duo als moralischer Kompass – was in manchen Krimis aufgesetzt erscheint, tut dieser „Tatort“-Folge ausgesprochen gut. Sahin lässt sich von all dem Hass nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht von dem Berliner Staatsschützer Nils Balde (Patrick Heinrich), der sie permanent von oben herab behandelt. Bade steht für die subtilere Form von Frauenverachtung, ist allerdings auch eine typische Klischee-Figur.
Almila Bagriacik ist hier in ihrer „Tatort“-Rolle richtig angekommen: zupackend und intelligent. Und so wenig wie Bagriacik alias Sahin das Stereotyp der hysterischen Frau bedient, so wenig entspricht Milberg alias Borowski dem Bild des alten weißen Mannes, der den Schuss nicht gehört hat. Für ein wenig humorvolle Entlastung sorgt außerdem „Cybercop“ Paulig (Jan-Peter Kampwirth). Der Kollege aus der IT-Abteilung ist mit seinen ironischen Bemerkungen („Ein Mann spürt, wenn er losziehen muss“) ebenfalls eine Art Gegenentwurf zu den aggressiven Jammergestalten, die wieder „echte Männer“ sein wollen.
Nach einer guten Stunde wird aus dem Krimidrama ein Thriller mit Verschwörungs-Elementen. Dann geht es verstärkt auch um die Bedrohung von Politikerinnen. Und der Themenfilm über toxische Männlichkeit läuft trotz auf ein enorm spannendes Finale zu.