Wie es dem Musical-Star Yaroslav Ros fern der Heimat geht Ukrainer auf der Düsseldorfer Bühne

DÜSSELDORF · Die Geschichte des 34-jährigen Ukrainers Yaroslav Ros liest sich wie ein Roman.

Yaroslav Ros: Der Ukrainer glänzt seit Anfang November in der Musical-Show Cabaret.

Foto: Rabsch

Das Gesicht von Yaroslav Ros kennen in Düsseldorf die meisten Zuschauer des „Cabaret“-Musicals im Schauspielhaus. Denn der 1988 geborene Ukrainer glänzt seit Anfang November in der neuen pompösen Musical-Show nicht nur durch virtuose Stepp-Solo-Nummern, sondern auch in Auftritten als einer der berüchtigten, verwegenen Kit-Kat-Boys im Berliner Club der frühen 1930er Jahre.

Damals – als alles drunter und drüber ging und an jeder Straßenecke Gestapo und Nazis lauerten. Sie drangsalierten, schlugen zu, ab 1933 verhafteten sie – auch diejenigen, die durch freizügige Sexualvorstellungen, zweideutige Gesten oder Garderobe den leisesten Verdacht erweckten, nicht den Normen des Nationalsozialismus zu entsprechen. Verfolgung von Homosexuellen war an der Tagesordnung.

„Heute herrscht ‚Cabaret‘-Stimmung in Moskau. Das Leben dort ist ähnlich wie damals in Berlin“, sagt der Bühnen-Allrounder Jaroslav (Ukrainisch: Yaroslav), der gerade von seinen früheren Kollegen in der russischen Metropole schlechte Nachrichten erhielt: Wegen der extrem verschärften Zensur und Gesetzen gegen die schwul-lesbische Bewegung, die das russische Parlament gerade verabschiedete, befürchten sie, dass die „Cabaret“-Produktion an der Moskwa in Kürze verboten wird. Das sagt Jaroslav in Russisch dem Dolmetscher Lev Gonopolskiy, selbst Russe, früher Regie-Assistent und Profi-Fotograf. Doch immer wieder betont Yaroslav, der fließend englisch spricht: „Ich bin Ukrainer“.

Ein Sohn lebt in Kiew,
der andere in New York

Die Geschichte des 34-jährigen schlaksigen Ukrainers mit halblangen Haaren unter locker sitzender Indoor-Mütze liest sich wie ein Roman. Zumindest wie ein Drehbuch. Zumal der Schauspieler und Tänzer bereits Vater von zwei Söhnen ist, von verschiedenen Lebenspartnerinnen: Michail (15) lebt in Kiew, Seraphim bei seiner Mutter (7) in New York. Regelmäßigen Kontakt hat er seit Kriegsbeginn nur zu Seraphim. Der ältere Spross schickt ihm zwar regelmäßig SMS oder Whats-Apps. Wo sich der Junge gerade aufhält? Das weiß der Papa nicht, zumal Michails Stiefvater den Kontakt zum leiblichen Vater untersagt. Weihnachten sieht er also keinen der Söhne. Eine schwierige Situation. Ob er an seiner Entscheidung, nach Deutschland zu fliehen, zweifelt, wenn er an das kommende Jahr denkt? „Ich kann und will nicht über die Zukunft nachdenken, ich lebe im Hier und Jetzt.“

Schon als Junge war Jaroslav unentwegt in Bewegung. Hat zu Hause ständig Theater gespielt und getanzt, erzählt er, trat mit zehn Jahren das erste Mal in einer Stepptanz-Show auf. Beide Eltern haben seine künstlerischen Talente unterstützt, genauso wie der Direktor am Kiewer Gymnasium. Durch dessen Weitsicht „konnte ich mit künstlerischen Erfolgen meine Schwächen in Mathematik ausbügeln,“ schmunzelt Yaroslav.

Für die Theater-Hochschule zog er etwa 2005 (unterstützt von den Eltern) nach Moskau; denn die russische Metropole galt damals als das Kunst- und Theater-Mekka im gesamten russischsprachigen Raum. Keine andere Stadt verfügt(e) über so viele Akademien, erstklassige Lehrer, die sich in verschiedenen, auch westlichen Stilen auskennen. So erhielt er dort, wie er meint, die damals beste Bühnen-Ausbildung. Und ging – nach dem Abschluss – in ein festes Engagement im Moskauer Ermolova-Theater. „Ich habe sofort Hauptrollen gespielt“, berichtet er stolz. In Dramen von Shakespeare (Romeo und Julia), Harold Pinter, Gogol, und häufig in Stücken von Oscar Wilde.“ Bis Juli. Dann sah er, nach vier Monaten Ukraine-Krieg und zahlreichen Verbrechen, keine Alternative: Er verließ Russland. Stand zunächst vor der Wahl – New York, Kiew oder den Westen. Direkt von Moskau dorthin zu reisen wäre im Sommer kaum möglich gewesen. Daher wählte er die Route über Istanbul. Von da aus flog er nach Deutschland.

Warum ging er, der fließend Englisch spricht, nicht in die USA? „Deutschland bietet den Flüchtlingen mehr Hilfe an“, sagt er. Strukturen, Bürokratie, Suche von Wohnung, Arbeitsplatz und Genehmigungen… Alles klappt besser als in anderen Ländern.“ Und den ersten Sprachkurs (A1) hat er bereits erfolgreich absolviert. „Ich bin so dankbar, dass man mir hier die Chance gibt.“ Das klingt brav aufgesagt, ist aber aufrichtig gemeint. Das verrät seine ernste, feste Sprache.

Warum Düsseldorf? Berlin und andere Städte im Osten waren bereits dicht. So wählte er als Wohnort Neuss. Dort leben Yaroslavs Eltern seit einigen Monaten. Sie hielten sich bei Kriegsbeginn zufällig bei ihrer Tochter (Yaroslavs Schwester) in der Dominikanischen Republik auf. Und kamen über Bochum an den Rhein. So teilt sich Yaroslav bis heute mit den Eltern eine Wohnung in Neuss. Eine Beziehung, die durch den Krieg wieder enger wurde, sagt er. Klar: Heiligabend feiern sie zusammen. In Freiheit. Das ist für die Familie Ros das Wichtigste. „Wir feiern gemeinsam in einem griechischen Restaurant in Neuss.“ Das sei der Wunsch seiner Mutter, die in Russland geboren wurde, aber griechische Vorfahren hat.

Und wie kam es zum Theater-Engagement in Düsseldorf? Durch Zufall. Einer seiner Freunde kennt Birgt Lengers, Leiterin der Bürgerbühne „Stadtkollektiv“. Sie empfahl eine Bewerbung bei der „Cabaret“-Produktion. Ein Video von Yaroslav gab den Ausschlag für das Casting und seine Rolle als singender Tänzer. Begeistert berichtet er von den Proben mit Regisseur André Kaczmarczyk und der Truppe. Er schwärmt geradezu von der Teamarbeit. Das kannte er aus Russland nicht. „Gemeinsam arbeitet das Regieteam mit uns, und nicht von oben herab“.

Wenn er auch keine konkrete Vorstellung für die Zukunft hat, will er doch eines Tages perfekt Deutsch sprechen. Und träumt von einer Hauptrolle auf der großen Bühne. Weihnachten und Silvester steht Yaroslav wieder auf den Cabaret-Brettern und steppt. Irgendwann will er zurück in die Ukraine. „Ich habe aber das Gefühl, dass ich jetzt meinem Land von Deutschland aus besser helfen kann. Falls mein Land mich vor dem Kriegsende braucht – dann komme ich. Falls nicht – dann erst, wenn wir siegen.“ Deprimiert indes blickt er auf Russland. „Ich habe keine Hoffnung, dass es in Russland Veränderungen zum Besseren geben wird. Das wird das zweite Nordkorea.“