„... stick the finger to Germany“ #Varoufake: Ein Finger schreibt (Medien-)Geschichte

Wie der Satiriker Jan Böhmermann die Republik an der Nase herumführt. Und was das über unsere Gesellschaft sagt.

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Düsseldorf. Einmal bitte tief durchatmen, vielleicht setzen Sie sich hin, Sie müssen jetzt ganz stark sein: Was Jan Böhmermann in seiner TV- und Internet-Show „Neo Magazin Royal“ Günther Jauch, der ARD und der Bild-Zeitung empfiehlt, als er grinsend seinen Beitrag über den Mittelfinger des griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ankündigt, gilt seit Donnerstag für die ganze Republik: Der TV-Satiriker hat der Nation den Spiegel vorgehalten. Und dabei in schwindelerregender Dynamik einen Kurzabriss über die Untiefen unserer (medialen) Gesellschaft gegeben.

Der beginnt beim real existierenden Mittelfinger des Rampenlicht-Griechen Varoufakis und hört bei der satirischen Analyse des 34-jährigen Bremers Böhmermann zur deutschen Mentalität auf: „In einem Jahrhundert zweimal Europa verwüstet, aber wenn man uns den Stinkefinger zeigt, dann flippen wir aus.“

Gefälscht — angeblich von Böhmermanns Redaktion, die in einem genialen Filmbeitrag auf verblüffende Weise professionell deutlich machte, wie leicht der Mittelfinger via Computer-Animation zu montieren und auch zu demontieren ist.

Ein Sturm der Entrüstung schwappt durchs Internet, Twitter und Facebook explodieren, unter dem Hashtag #varoufake rätselt die Welt, ob es den Mittelfinger gab oder nun doch nicht — und verkennt bei aller Aufregung, dass es um genau diese Frage gar nicht geht.

Die Wahrheit: Böhmermann ist nachträglich auf den Varoufakis-Zug gesprungen. Das macht diese Mediensatire keinen Deut schlechter. Was aber nach 15 Stunden Hyperventilieren bei der Jauch-Produktionsfirma "i&u" und im Medienbetrieb auch offziell klargestellt wurde: Die Böhmermann-Sendung, so das ZDF, sei Satire.

Horden von Medienkritikern leisteten in Social-Media-Kanälen Abbitte - und hatten doch schon wieder nicht verstanden: Ob Finger oder nicht, „fake“ oder „fakefake“: Von Böhmermanns Schachzug bleibt allein die Erkenntnis, wie sich diese Republik und ein öffentlich-rechtlicher Sender tagelang an einer Jahre alten Rede eines Privatmannes abarbeitet, deren tatsächlicher Inhalt niemanden interessiert. Die Geste steht. Was man glauben will, wird geglaubt. Nach diesem Schema funktioniert auch Böhmermanns "fakefake". Die Erkenntnis wird so nur noch verstärkt. Was will Satire mehr?

Letztlich ist der Blick auf das geworfen, was Varoufakis mit dem noch immer verwirrenden Vorwurf der Fälschung, den er auch am Donnerstag aufrecht erhielt, gemeint haben könnte: Dass seine Rede bei Jauch aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Varoufakis nämlich sprach im Konjunktiv darüber, wie die griechische Regierung im Januar 2010 hätte handeln sollen. Übersetzt sagte er seinerzeit: „Mein Vorschlag war, dass Griechenland im Januar 2010 innerhalb des Euros einfach seine Zahlungsunfähigkeit hätte erklären sollen — so wie es Argentinien gemacht hat — und dann Deutschland den Stinkefinger zeigen und sagen hätte können: ‘Also jetzt könnt ihr dieses Problem alleine lösen - okay?“

Böhmermann hat tieferliegende Wahrheiten zu Tage gefördert, dafür ist Satire da. Egal war dieser Finger schon vor Böhmermann. Damit ist nichts über die Integrität des griechischen Finanzministers gesagt. Aber einiges über die Lust des Deutschen an der medial beförderten Erregung. Über Nebensächlichkeiten. Und nicht nur Mittelfinger.