Fotografie im Rheinland Wie die Avantgarde die Becher-Schule veräppelt
Mit „Next Generations. Aktuelle Fotografie made im Rheinland“ präsentiert sich Morsbroich als Avantgarde-Museum.
Von Helga Meister
„Next Generations“ nennt sich die exzellente Ausstellung mit 18 jüngeren Positionen der Fotografie im Schloss Morsbroich. Dabei ist ein leichtes, glucksendes Lächeln unüberhörbar. Denn wer von den 30- bis 40-Jährigen etwas auf sich hält, amüsiert sich über die Becher-Schule, auch wenn er einstmals die Düsseldorfer Kunstakademie besucht hat und anschließend in die Kölner Medienhochschule gewechselt ist. Die Schau in den prächtigen Räumen veräppelt auf perfekte Weise die berühmte Fotografie, im alternativen Selbstbildnis, in der Bilderflut, in den Schaufensterpuppen, ja selbst im Höhlengleichnis von Plato. Das ist natürlich typisch rheinisch, worauf die beiden Kuratorinnen Heide Häusler und Stefanie Kreuzer auch hinweisen.
Wie der Herr Professor sein Selbstporträt konterkariert
Hereinspaziert in das Haus, das sich immer der Avantgarde widmet, selbst heute, wo die Finanzierung am seidenen Faden hängt. Gleich der erste Raum ist ein programmatischer Raum, in dem sich die Fotografie zu einer Wohnlandschaft generiert. Peter Miller, der seit dem Wintersemester eine Professur für zeitbasierte Medien und Fotografie an der Folkwang-Universität der Künste in Essen hat, startet seine Installation mit dem eigenen Ich.
Das ist keine Porträt im Stil des Thomas Ruff, das als Blow up in dunklen Rahmen an den Museumswänden hängt. Das ist das Foto des schlafenden Produzenten als Teil einer Hohlkehle, wie man sie normalerweise benutzt, um das Porträt bestens auszuleuchten. Der Kerl in der fiktiven Liege lässt sogar die Beine herunterbaumeln. Auf der gegenüberliegenden Seite spielt er abermals mit seinem Konterfei, nur lässt er diesmal die Zeichnungen seines Egos von vier touristischen Malern in Paris anfertigen. Der Pfiff liegt darin, dass die Handlanger ihn aus verschiedenen Perspektiven malen mussten, wie es bei Fotografen üblich ist.
Peter Miller zeigt auch sonst, was er kann. Auf der Drei-Farben-Theorie baut sich sein Farbraum auf, mit einem Tisch in den gemischten und gesprayten drei Grundfarben. Er steht auf einem bunten Teppich, der unter dem Tisch farblos bleibt, als handle es sich um einen weißen Schatten, den es normalerweise nicht gibt. Dahinter aber steht ein Riesenfoto am Ständer. Es ist mehr als eine Flachware, es ist ein Objekt. Der als Silberschmied ausgebildete Künstler hat in seinen Blumenstrauß eine Lichterkette gehängt, bevor er das herkömmliche Motiv mit verschiedenen Blenden aufgenommen und invertiert hat, um es nicht etwa mit einem dunklen Rahmen der Becher-Schule zu umgeben, sondern mit einem weißen, dicken, fetten Kaufhausrahmen in billigem Weiß.
Wie der Kunststoffblock das Foto platt drückt
Ein anderes Beispiel liefert Alwin Lay. Er kredenzt einen transparenten Acrylblock und legt das dazu gehörende Foto auf den Boden des gläsernen Quaders. Der Block erdrückt gleichsam das Foto, das nichts als eine läppische Heftzwecke zeigt, die sich ins unbelichtete Fotopapier bohrt. Der Witz liegt darin, dass die Becherschule mit der Diasec-Rahmung arbeitet und dadurch die Brillanz in den farbigen Aufnahmen gewinnt. Lay vergrößert die Kunststoffschicht und verwandelt sie in eine Skulptur, die das Foto gleichsam platt macht.
Wie die Sonne die Schönen im Foto zersetzt und auflöst
Geradezu triumphal wirkt das Werk des Bilderforschers Sebastian Riemer. Der Absolvent von Ruff und Williams präsentiert morbid-schöne Aufnahmen. Die Ursprungsbilder entdeckte er im sonnigen Tel Aviv, wo das Tageslicht die Motive zersetzt hat. Die Models sind nun nicht mehr ewig jung, sondern dem Alterungsprozess hilflos ausgesetzt. Das Papier hat sich aus der Druckschicht herausgeschält. Riemer legt die Reste vorsichtig auf einen hochauflösenden Scanner und zieht sie großformatig ab. So konserviert er die Verfallszustände der fotografischen Ruinen in den Ausdrucken, die nun an impressionistische Malerei erinnern. Die Fotografie, die sich einst von der Malerei mühselig entfernt hat, kehrt zu ihr zurück. Neu ist allerdings die „melancholische Poesie“, wie es der Düsseldorfer nennt.
Der Hochleistungsscanner hat längst die Kamera abgelöst
Oft genug scheint die Kamera vom Hochleistungsscanner abgelöst zu sein. Johannes Post, der in Hamburg und Köln studiert hat, zersägt Möbel Stück für Stück, legt sie auf den Scanner, und lässt sie abtasten. Das Ergebnis erinnert an ein Zimmer im Aufriss, klar konstruiert wie ein architektonisch perfekter Innenraum. Kaum jemand glaubt, dass es ein bloßes Abbild ist, aber es ist eins. Gleichzeitig wirken die Bilder wie Tagträume.
Der Zeichenstift hilft der Fotografie der Lichtreflexe auf
Anna Vogel, Meisterschülerin von Andreas Gursky, wartet am Rhein, bis die Sonne tiefer steht, bevor sie die Lichtreflexe mit der Kamera aufnimmt. Aber dann setzt sie mit dem Stift ihre Zeichen, so dass man kaum noch sagen kann, wo das Foto aufhört und die Zeichnung beginnt, weil das eine das andere überlagert.
Doch es gibt natürlich auch noch klassische Bilder, wenn sich Morgaine Schäfer mit ihrem schönen, langen Blondhaar selbst ablichtet und dabei ein Polaroid aus dem Familienalbum in den Händen hält. Berit Schneidereit erzeugt Hybride aus analogen und digitalen Prozessen.
Das Höhlengleichnis als Produkt der Großbildkamera
Nur Shigeru Takato greift tief zurück in die Anfänge der Kunst. Der Japaner, der in Neuseeland, Düsseldorf und Köln studiert hat, schleppt noch die Großbildkamera in die Höhlen von Kroatien und dem Frankenland, schießt seine Bilder aus dem Dunklen in die Helle und lässt den Betrachter an Platons Höhlengleichnis denken. Der antike Philosoph sah im Aufstieg aus der Höhle der sinnlich wahrnehmbaren Welt in die rein geistige Welt den Sinn des Lebens.