Meinung Auf dem absteigenden Ast - Die Grünen und ihr Formtief
Eigentlich sind die Bedingungen ideal: Die SPD dümpelt im 20-Prozent-Keller vor sich hin, den allermeisten Deutschen - nach einer neuen Umfrage 71 Prozent - bereitet der Klimawandel allergrößte Sorgen, und auch der Diesel-Skandal hat eine Menge Potenzial.
Sogar verseuchte Eier tauchen dieser Tage wieder in Supermarktregalen auf. Bis dato immer ein verlässlicher Anlass für Mega-Empörung.
Doch die Partei, der diese Gefechtslage am meisten in die Hände spielen müsste, steckt ebenfalls im Umfragetief. Auf nur sieben bis acht Prozent werden die Grünen seit Monaten taxiert - weniger als bei der ohnehin schon als krachende Niederlage empfundenen Bundestagswahl vor vier Jahren. Warum kommt die Partei nicht aus dem Knick?
Der wohl bitterste Befund für die Grünen ist, dass der Zeitgeist offenbar rechts abgebogen ist. Im Zuge der Flüchtlingswelle konnte die AfD reüssieren. Wer da eine offene Gesellschaft propagiert, die bei den Grünen gewissermaßen zum Grundinventar gehört, hat plötzlich strategisch eher schlechte Karten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum die Theorie der kommunizierenden Röhren nicht mehr aufgeht: Noch vor nicht allzu langer Zeit zog eine Schwächephase der SPD in aller Regel einen Sympathiezuwachs für die Grünen nach sich. Und umgekehrt. Zwischen beiden Parteien fand ein Wähleraustausch statt.
Doch seitdem die Partei sich auch nicht mehr auf Rot-Grün versteifen mag, was wegen notorisch fehlender Mehrheiten durchaus nachvollziehbar erscheint, ist diese Wählerwanderung kein Automatismus mehr. Auf Landesebene gleicht grünes Mitregieren inzwischen einem bunten Flickenteppich. In Kiel zum Beispiel sitzt man mit CDU und FDP am Kabinettstisch, in Magdeburg mit CDU und SPD und in Erfurt mit SPD und Linken. Die Anschlussfähigkeit nach beinah allen Seiten bringt jedoch auch die Gefahr einer wachsenden inhaltlichen Unschärfe mit sich.
So würde man den Diesel-Skandal für grüne Geschmäcker sicher noch deutlich kräftiger zuspitzen, wäre da nicht Winfried Kretschmann, dem im „Ländle“ die Autoindustrie im Nacken sitzt. Nach dem Gipfeltreffen am Mittwoch sprach der Stuttgarter Regierungschef auch prompt von einem „ordentlichen Ergebnis“, derweil andere grüne Vorturner praktisch kein gutes Haar an dem mageren Resultat ließen. Wer soll da als Wähler noch wissen, woran er mit den Grünen genau ist?
Und noch ein Grund für das grüne Formtief kommt hinzu: die beiden Spitzenkandidaten. Nicht, dass Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir große Fehler machen würden. Aber sie entfalten eben auch keine große Begeisterung. Weil sie gefühlt schon immer da waren, weil sich keine originelle Idee mit ihnen verbindet, weil sie eher blass wirken. Für eine Partei, die weit mehr Menschen als nur ihre Stammwählerschaft erreichen will, ist die Personalschwäche ein nicht zu unterschätzender Bremsfaktor. Vielleicht haben die Grünen Glück und werden ab Herbst zum Regieren auch im Bund gebraucht. Weitere vier Jahre Opposition würden die Abstiegsängste der Partei noch verstärken.