Das wahre Ausmaß ist viel größer

Die Defizite in Flüchtlingsheimen umfassen jeden Bereich

Ein Kommentar von Vera Zischke.

Foto: Schinkel, Uwe (schin)

Auch Tage nach Bekanntwerden der Misshandlungsvorwürfe in drei Flüchtlingseinrichtungen des Landes ebbt die Empörung nicht ab. Im Gegenteil: Es zeigt sich, dass die Probleme weitaus größer sind als zunächst angenommen. Es geht nicht mehr nur um die Frage, wie es passieren konnte, dass vorbestrafte Gewalttäter als Sicherheitskräfte eingesetzt wurden.

Inzwischen geht es um die Frage, wie das gesamte System der Flüchtlingsversorgung des Landes derart kollabieren konnte. Wie es sein kann, dass das Land offenbar derart von den Problemen überrollt wird, dass sich ein Vize-Regierungspräsident zu der Aussage hinreißen lässt: „Wir sind froh, dass die Menschen nicht in Zelten schlafen.“ Sind die Ansprüche tatsächlich derart gesunken? Offenbar ja.

Innenminister Jäger lehnt die Generalkritik ab, dass hier ein strukturelles Versagen vorliege. Doch nichts anderes ist es, wenn es nicht gelingt, Menschen angemessen unterzubringen — und zwar nicht nur in drei Heimen, sondern flächendeckend in Nordrhein-Westfalen.

Dennoch wäre es falsch, dem Innenminister oder gar der Bezirksregierung allein die Schuld in die Schuhe zu schieben. Denn dass es immer noch nicht gelungen ist, die Situation angemessen zu bewältigen — obwohl die Zahl der Flüchtlinge bereits seit vier Jahren deutlich steigt — hat viele Gründe.

Einer davon ist, dass die Bezirksregierung seit Jahren finanziell und personell unterversorgt ist — daran trägt auch die schwarz-gelbe Vorgänger-Regierung ihren Anteil. In Zeiten hoher Landesverschuldung ist es nicht opportun, zusätzliche Gelder in die eigene Verwaltung zu stecken. Offensichtlich wurde hier jedoch an der falschen Stelle gespart. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die schwierige Standortsuche für Flüchtlingsunterkünfte.

Das Land würde gern mehr Wohnheime eröffnen, findet aber keine geeigneten Immobilien in den Städten. Die Kommunen wiederum bekommen kräftig Druck von ihrer Bevölkerung, die sich häufig reflexartig mit Unterschriftenaktionen gegen Asylbewerberunterkünfte zur Wehr setzt. Das zynische Motto „Flüchtlingshilfe ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür“ sitzt immer noch erschreckend tief in den Köpfen.