Der Bundestag darf uns nicht egal sein
Der Parlamentarismus muss lebendiger werden
Dem deutschen Volke — diese drei Worte stehen am Giebel des Reichstagsgebäudes. Der Widmung ließe sich mit trauriger Berechtigung ein viertes Wort hinzufügen: „egal“. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung, wonach die meisten Bürger Debatten und Arbeit des Bundestags kaum wahrnehmen, sollte ein Alarmzeichen sein. Für uns alle. Und besonders für die Gewählten, denen das Wegsehen der Bürger nicht egal sein darf.
Doch wie reagieren die Gewählten? Sie planen eine nicht mal halbherzige Reform. Die Minister sollen mindestens einmal im Jahr bei einer Befragung im Parlament präsent sein. Das ist viel zu wenig.
Einige wenige Politiker nutzen viel lieber die Bühne von Fernsehtalkshows. Sie lassen sich ins Wohnzimmer des Wahlvolks zuschalten, um diesem und ihrer eigenen Parteibasis zu sagen, wo es langzugehen hat. Und dem Bundestag schaut außer einigen Besuchern unter der Glaskuppel und ein paar Nutzern des Parlamentskanals kaum jemand zu. Nur selten erregen einige, dann sofort als „Sternstunden“ gepriesene Debatten öffentliche Aufmerksamkeit — etwa über ethische Themen wie Präimplantationsdiagnostik oder Sterbehilfe. Auf eher peinliche Publicity wie den bizarren Auftritt eines Wolf Biermann, der sich jüngst im Hohen Haus als Drachentöter der Linken aufspielte, kann der Bundestag dagegen getrost verzichten.
Die derzeit besonders große Langeweile im Parlament ist freilich auch der Konstellation geschuldet, dass eine Mini-Opposition schon aufgrund ihrer kurzen Redezeit gegen die Übermacht der großen Koalition hoffnungslos untergeht. Wie erfrischend wäre es da, nicht nur einmal jährlich, sondern wöchentlich einen Minister und alle paar Wochen die Kanzlerin zur Fragestunde zu zitieren? Einer Fragestunde, in denen sich die Regierenden ganz konkret zu aktuellen Themen äußern müssten. Auf Fragen, die auch von Bürgern kommen und von Abgeordneten in deren Namen gestellt werden könnten. Ein so gesteigertes Interesse der Menschen würde auch die Legitimität des Parlaments steigern.
In der Weimarer Zeit gab es die böse Verhöhnung des Parlaments als „Quasselbude“. Ein achselzuckendes „egal“ sollten wir genauso wenig akzeptieren.