Meinung Ein überfälliges Machtwort in Richtung Erdogan
Es reicht. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat am Donnerstag mit seiner scharfen Replik auf die Attacken des türkischen Präsidenten Erdogan diese Botschaft nach Ankara gesendet. Ja, es reicht tatsächlich.
Der Bundestag darf und wird es sich nicht gefallen lassen, wenn seine Abgeordneten zum rhetorischen Spielball eines unbeherrschten Despoten werden. Mehr Mittel, als die Attacken Erdogans auf Schärfste zurückzuweisen, hat Lammert freilich nicht.
Das Problem bleibt. Mit Erdogan steht in der Türkei ein Mann an der Spitze, der ein widersinniges Demokratie- und Parlamentsverständnis hat. Erdogan sieht überall Feinde, und wo keine sind, werden welche konstruiert, um sie dann zu instrumentalisieren. Genau dieses Prinzip bekommen die deutschen Abgeordneten im Moment zu spüren. Mit kruden Attacken und wirren rassentheoretischen Anspielungen stachelt Erdogan ihm wohlgesonnene nationalistische Kräfte an, die dann womöglich zur Tat schreiten. Das macht die ganze Angelegenheit für die Parlamentarier noch gefährlicher.
Lammert hat Erdogan verbal die Grenzen aufgezeigt. Das war dringend nötig. Die eigentlichen Hebel haben aber andere - zuallererst die Europäische Union. Parlamentspräsident Martin Schulz spricht bereits von einem "Tabu-Bruch", den Erdogan mit seinen Drohungen gegen die Abgeordneten begangen hat. Ein starkes Wort. Wenn dem jedoch so ist, dann muss die EU auch konsequent handeln. Visafreiheit? Milliardenhilfen? Dann eben nicht, falls Erdogan nicht schleunigst zu einem politisch gebotenen Miteinander zurückkehrt. Auch um den Preis, dass vielleicht der Flüchtlingsdeal in Gefahr gerät. Glaubwürdigkeit, Rechtsstaatlichkeit, die Werte, für die Europa steht, dürfen eben nicht auf dem Altar dieses Abkommens geopfert werden. Zugleich muss Erdogan unmissverständlich klar gemacht werden: Einen Beitritt zur EU kann es unter diesen Umständen schon gar nicht geben. Wer sich damit mehr schadet - die Türkei oder die Europäische Union - dürfte auf der Hand liegen.
Auch die Kanzlerin hat als Regierungschefin Hebel, die sie in Bewegung setzen könnte. Das macht Angela Merkel aber nicht. Sie könne die Äußerungen Erdogans nicht nachvollziehen, hat sie lediglich gesagt. Es tut schon weh, wie leisetreterisch Merkel in dieser üblen Angelegenheit gegenüber dem türkischen Präsidenten auftritt. Dabei sollte doch gerade sie mit ihrem biografischen Hintergrund wissen, dass die Unabhängigkeit der Abgeordneten und des freien Mandats wann immer nötig verteidigt werden muss. Auch Merkel hat als Kanzlerin die Pflicht, sich vor die demokratischen Institutionen zu stellen - und nicht nur der Bundestagspräsident. Für Erdogan dürfte Merkels Zurückhaltung eine Bestätigung seines Vorgehens sein. Und das kann die Kanzlerin doch nicht ernsthaft wollen.