Meinung Eine gute (Un-)Wortwahl
Das Unwort des Jahres 2016 heißt also „Volksverräter“. Ein Kampf-Begriff, den Nationalsozialisten geprägt haben und der leider eine Renaissance erlebt, die noch vor nicht allzulanger Zeit unmöglich schien.
Erinnert sei an den Besuch Sigmar Gabriels im niedersächsischen Salzgitter im vergangenen August. Damals wurde der SPD-Bundesvorsitzende von rechten Demonstranten als Volksverräter beschimpft, woraufhin er medienwirksam den Stinkefinger hob. Die Jury begründete ihre Entscheidung denn auch damit, dass der Begriff ein „typisches Erbe von Diktaturen“ sei, das „undifferenziert und diffamierend“ gebraucht werde und jedes ernsthafte Gespräch abwürge.
Gut gebrüllt, Jury, möchte man ergänzen. Trifft sie doch mit ihrer Wahl die aktuelle Situation sehr genau, die durch Misstrauen, Gesprächsverweigerung und Ausgrenzung geprägt ist. Eine gefährliche Gemengelage, die schon frühere Unwörter (2014: Lügenpresse, 2015: Gutmensch) widerspiegelten. Die Sprachwissenschaftler betonen, sie hätten es sich nicht leicht gemacht, wieder ein Wort aus dem „plakativen und polemischen Sprachgebrauch“ zu nehmen. Ich meine, dass ihnen als sprachkritischer Initiative, zu der sie sich 1991 zusammentaten, kaum etwas anderes übrig blieb.
Es geht darum, den gefährlichen Trend des immer kürzeren Nach-Denkens und immer schnelleren Nach-Sprechens, Ver-Urteilens und Verbreitens von Meinungen (Stichwort Soziale Medien) entgegenzutreten. Sich die Sprache genauer anzusehen und Begriffe zu hinterfragen, ist dabei ein guter und wichtiger Ansatz. Wir leben zwar in einer immer noch stabilen Demokratie, der Konsens über deren Grundprinzipien schwächelt aber leider.
Schade nur, dass das Ansinnen der Jury nicht die Beachtung findet, die es verdient. Und die, die ihre Wortwahl überprüfen sollten, werden nicht erreicht, weil sie weder zuhören noch nachdenken.