Eine unangemessene Richterschelte
Das gespaltene Verhältnis der Politik zum Verfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht spricht Urteile — zu Fällen, die an die Richter herangetragen werden. Es mischt sich nicht aktiv in die Politik ein. Gemessen an dieser idealtypischen Beschreibung erscheint der Richterspruch in Sachen NPD mustergültig: Die Richter urteilen nur über einen Verbotsantrag, geben aber nicht vorher ihre Einschätzung.
Sie sind keine Obergutachter, denen die Politik eine Frage vorlegt, bevor sie, die Politik, entscheidet. Ein solches Gutachterverfahren gab es zwar früher mal beim Verfassungsgericht. Doch dieses abzuschaffen, war gut: Es ist nicht der Job der Richter, mitzuregieren. Eben das täten sie, wenn sie der Politik im Vorfeld mitteilten, wo es langgeht.
Halt, werden jetzt viele rufen. Eben diese Einmischung hat es doch eben erst gegeben. Einerseits durch das Adoptionsurteil in Sachen Homo-Ehe, durch das die Richter familienpolitische Weichen stellten. Und, noch provokativer, durch Äußerungen des Gerichtspräsidenten, dessen Worte als Ankündigung gewertet wurden, dass gleichgeschlechtliche Partner demnächst steuerlich gleichgestellt werden.
Gewiss wäre es schlauer, wenn Andreas Voßkuhle einfach wartete, bis sein Gericht am Zug ist. Auch dann werden sie früh genug kommen — die Vorwürfe, dass Karlsruhe den Ersatz-Gesetzgeber spielt. Aber wie soll das auch anders sein bei einer Instanz, zu deren Kompetenz es nun mal gehört, Gesetze für verfassungswidrig zu erklären? Unpolitisch im strengen Sinne kann das Verfassungsgericht gar nicht sein. Aber anders als die Politik kann es sich nicht einfach ein Thema vorknöpfen. Es legt die Verfassung aus — wenn es gefragt wird.
Und von wem wird es gefragt? Eben von den Politikern, die mit ihrem „Wir gehen nach Karlsruhe“ immer wieder Korrekturen verlangen. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Ebenso gibt es seit Jahrzehnten die Richterschelte der in Karlsruhe Unterlegenen, die aber immer mehr den grummelnden Politikern schadeten als dem hohen Ansehen der Verfassungsrichter.
Deren Urteile zeigen immer wieder, wie gewissenhaft sie das Pro und Kontra abwägen. Statt auf ein Urteil aus Karlsruhe zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange, haben die Politiker einen Weg, der den Richtern versperrt ist: selbst initiativ zu werden, selbst zu handeln, selbst Gesetze zu machen.