Erbschaftssteuer: Urteil kein Anlass zur Sozialneid-Freude
Kommentar Wirtschaft braucht zügig Klarheit für Unternehmens-Erben
Reduziert man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch auf die schlichte Zeile „Karlsruhe kippt Erbschaftsteuer“, dann haben alle Sozialneider sicher Anlass, den Spruch der Verfassungsrichter als großen Sieg der „Gerechtigkeit“ zu feiern.
Denn wenn der Bund „nur“ 4,3 Milliarden Euro Erbschaftsteuer jährlich einnimmt, steinreichen Erben aber gleichzeitig fast 40 Milliarden Erbschaftsteuer erlässt, dann muss doch etwas faul sein — oder? Das ist so ungefähr wie der kleine Hans sich die große Welt vorstellt. Im wirklichen Leben macht es einen himmelweiten Unterschied aus, der lachende Erbe von mehreren Millionen Barvermögen oder aber eines mittelständischen Handwerksbetriebs zu sein, der auf dem Papier natürlich den gleichen Wert hat.
Glücklicherweise — und zwar nicht für die Erben, sondern die Mitarbeiter in betroffenen Betrieben — haben die Verfassungsrichter klargestellt, dass der Schutz von Familienbetrieben und die Sicherung von Arbeitsplätzen ein legitimer Grund sind, den Erben die Steuer zu erlassen. Der Bund kann daher auch weiter auf Steuereinnahmen aus Erbfällen verzichten, wenn er der Überzeugung ist, dass das Geld in Form von Betriebskapital und Arbeitsplätzen mehr für die Volkswirtschaft tut. Lediglich die Abgrenzungen zu Großbetrieben muss der Gesetzgeber klarer regeln und ein paar Schlupflöcher stopfen. Dazu hat er bis 2016 Zeit.
Die sollte er sich aber nicht lassen, sondern sofort loslegen. Die Vorarbeiten könnten eigentlich schon längst erledigt sein, da das Urteil schließlich nicht unerwartet kam. Unternehmer, die jetzt vor der Entscheidung stehen, ihren Kindern einen Betrieb zu vererben oder einen anderen Weg für die Betriebsübergabe an die nachfolgende Generation zu gehen, können schließlich nicht einfach zwei Jahre abwarten, was der Gesetzgeber tut.
Laut einer Ifo-Umfrage müssten 43 Prozent der Familienunternehmen in Deutschland den Betrieb oder Teile davon verkaufen, wenn beim Generationswechsel die normale Erbschaftsteuer anfiele. Die Folgen wären für die Konjunktur und die Beschäftigung in Deutschland weit risikoreicher als die aktuelle Russland-Krise.