Meinung Europameister Portugal - Mehr als ein Fußballsieg
Die Portugiesen haben in der Vergangenheit wenig zu feiern gehabt. Ihr schönes Seefahrerreich am Atlantik, in dem Millionen Europäer jedes Jahr Urlaub machen, gilt seit langem als eines der Armenhäuser der Europäischen Union.
Die tiefe Schulden- und Wirtschaftskrise, welche die Republik das letzte Jahrzehnt heftig durchschüttelte, verschlimmerte noch die soziale Not und trieb viele Familien in die Armut.
Kein Wunder, dass Sonntagnacht, nach dem Gewinn der Fußball-EM, die Euphorie in diesem Land der vielbesungenen Melancholie buchstäblich explodierte. Die ganze portugiesische Nation, die in der Vergangenheit so viel Tränen der Traurigkeit vergoss, weinte vor Glück. Denn der Titelgewinn bedeutet für dieses Volk mehr als ein historischer Sieg im wichtigsten europäischen Fußballturnier. Dieser Triumph, der erste bei einer EM oder WM, gibt den Portugiesen ein Stück ihres untergegangenen Stolzes zurück.
Spätestens seit das Korkeichenland in die Staatspleite rutschte und 2011 vom Euro-Rettungsschirm aufgefangen werden musste, ist das portugiesische Selbstbewusstsein ziemlich angeknackst. Denn nach der Rettung mit einem Notkredit von 78 Milliarden Euro musste dieses südeuropäische EU-Land nach der Pfeife der Gläubiger-Troika tanzen. Und diese verordnete den zehn Millionen Portugiesen ein schwer verdauliches Rezept: den Gürtel bis zu Schmerzgrenze enger schnallen.
Die Sparwut ging soweit, dass die eigentlich sehr geduldigen Portugiesen irgendwann in vielen Städten in Massen auf die Straße gingen und riefen: „Wir können nicht mehr.“ Das Wasser stand da vielen schon bis zum Hals. So sehr, dass hunderttausende junge Portugiesen die Koffer packen mussten, um im Ausland eine würdige Existenz zu suchen.
Im letzten Jahr schickten die portugiesischen Wähler dann jene konservative Regierung in die Wüste, welche im Auftrag der Troika die Sparaxt ohne Rücksicht auf soziale Verluste angesetzt hatte.
Nun regieren die Sozialisten, lockern wieder die Sparschraube und rebellieren Schulter an Schulter mit den anderen südeuropäischen Krisenländern gegen die Brüsseler Austeritätspolitik. Weil, so die bittere Erfahrung, beim bisherigen kompromisslosen Kürzungskonzert die Schwächsten der Gesellschaft auf der Strecke blieben.
Die portugiesische Rebellion dürfte demnächst noch vernehmbarer werden. Nicht nur, weil der erste EM-Titel in Portugals Geschichte diesem vergleichsweise kleinen Volk das schon fast vergessene Gefühl wiedergibt, eine große und souveräne Nation zu sein, die sich nicht noch einmal bevormunden lassen will.
Sondern auch, weil die Brüsseler Drohung, Portugal für mangelnde Spardisziplin mit harten Sanktionen zu bestrafen, eher kontraproduktiv ist. Mit diesem Knüppel hat die EU-Kommission bisher nur erreicht, dass die Portugiesen von links bis rechts wie noch nie geschlossen hinter ihrer Regierung stehen. Und diese lautstark anfeuern, damit sie, wie in alten Seefahrerzeiten, heldenhaft gegen neue Attacken aus Brüssel kämpft.