Kuscheln war gestern
Die große Koalition und ihre gewaltigen Aufgaben
Zwei Randaspekte dieser Regierungsbildung sind bemerkenswert: Etliche Abgeordnete der Koalition verweigerten Angela Merkel ihre Stimme. Doch der erste Blick trog, sie kann das Ergebnis trotzdem als gewaltigen Erfolg verbuchen, wenn sie es mit früheren Legislaturperioden vergleicht. Es gab sogar noch nie solch einen hohen Kanzler-Wert wie am Dienstag. Auffällig auch, dass Merkel und alle Minister die Eid-Formel „So wahr mir Gott helfe“ wählten. Ein erfreuliches Bekenntnis zu unserer christlichen Kultur.
Zyniker werden das anders interpretieren. Sie sagen, diese Regierung, die so unsäglich lange brauchte, sich zusammen zu raufen, wird des Beistands von ganz oben bedürfen. Denn sie hat Aufgaben vor sich, die sind so gewaltig, dass man sie in einem Koalitionsvertrag nicht regeln kann. Dazu zählen die Überalterung der Gesellschaft, die Wahrung der sozialen Ausgewogenheit in unserer Gesellschaft, die Probleme rund um EU und Euro sowie die Gefahr, dass Deutschland und ganz Europa politisch und wirtschaftlich bald keine Rolle mehr spielen. Wenn jemand solche Herausforderungen bewältigt, dann am ehesten eine starke, große Koalition.
Allerdings muss die sich einig sein. Und da sieht es schon bei fassbareren Themen nicht gut aus. Da steht zum Beispiel die Pkw-Maut im Koalitionsvertrag, obwohl jedem Beteiligten klar ist, dass sie zumindest in dieser Art nicht kommen wird. Da gibt es die Mindestlohn-Ankündigung, doch bei der konkreten Ausgestaltung dürfte es zu Reibereien innerhalb der Regierung kommen. Kritik von außen gibt es daran sowieso schon genug. Spätestens wenn das Geld knapp wird, dürfte es neue Diskussionen um die angepeilte Rentenregelung geben. Und um eine Steuerreform — und zwar eine richtige mit klaren Vereinfachungen und Abschaffung der sogenannten kalten Progression — scheint sich die Koalition sowieso zu drücken, weil es ein so konfliktträchtiges Thema ist.
Einen Vorgeschmack darauf, dass das Regieren nicht lange so kuschelig geschehen wird, wie es bislang scheint, lieferte am Dienstag bereits der Neu-Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er tönte, „die Vergipfelung der Politik ersetzt nicht Außenpolitik“. Was eine erste Kampfansage an Angela Merkel ist. Klartext: Künftig mache ich Außenpolitik und nicht mehr Angela Merkel, wie zu Guido Westerwelles Zeiten. Und er ließ Konkretes folgen, indem er die bisherige Ukraine-Politik infrage stellte. Die Zeit der Harmonie ist also schnell zu Ende gegangen.