Freudentränen trocknen rasch
Vor allem Sigmar Gabriel darf jetzt frohlocken
Sigi Pop hat sein Meisterstück abgegeben. Als Sigmar Gabriel vor zehn Jahren diesen Spitznamen erhielt, weil er nach einer Wahlniederlage nicht mehr Ministerpräsident in Hannover, sondern Popbeauftragter der SPD in Berlin war, sah es für ihn schlechter aus.
Auch vor drei Monaten, als er als Vorsitzender mit seiner SPD ein miserables Wahlergebnis hinlegte, galt er als hochgradig gefährdet. Doch dann hat er verblüffenderweise alles richtig gemacht und gilt seitdem als großer Stratege.
Nachdem fast 76 Prozent beim von Gabriel angeregten Mitgliederentscheid für den Koalitionsvertrag stimmten, sieht die Welt für ihn so rosig aus, dass ihm seine öffentlichen Freudentränen gegönnt seien. Die Abstimmung gilt als basisdemokratischer Höhepunkt, obwohl Gabriel bei Personalfragen lieber auf sich selbst hört. Er wird zweitstärkste Person in der Regierung werden. Und in der SPD geht jetzt kein Weg mehr an ihm vorbei. Die Genossen müssen sich lediglich fragen, ob und wie sie seine Bedeutung noch weiter steigern können.
Die SPD wird sich noch einige Zeit am Gelingen dieses Koalitionsvertrags berauschen. Sie kann sich freuen, dass er viel sozialdemokratischer ausfällt, als es dem Stimmenanteil entsprechen dürfte. Doch ob das klare Votum für den Vertrag aus voller Überzeugung geschah, oder vor allem aus Angst vor einer Neuwahl und dem politischen Selbstmord bei einer Ablehnung, weiß niemand.
Bei den Mitgliedern der Koalition, die am Montag mit strahlenden Gesichtern den Vertrag unterschreiben werden, wird sich im Alltag bald Ernüchterung einstellen. Denn die politischen Gegensätze zwischen den Parteien sind so fundamental, dass sie nicht vier Jahre lang allein mit Emotionen zugedeckt werden können.
Vor allem, wenn die Einnahmen nicht wie erhofft sprudeln, werden sich die großzügigen Versprechen im Koalitionsvertrag rasch als Konfliktstoff erweisen. Zudem ist es aus Sicht der Union problematisch, wenn sich die Sozialdemokraten jetzt derart strahlend präsentieren:
Die CSU wird es nur schwer verschmerzen, dass sie mit drei relativ bedeutungsarmen Ministerien abgespeist wird — und vor allem Angela Merkel dürfte taktisch geschickt auf den richtigen Zeitpunkt warten, die Zügel wieder deutlich in die Hand zu nehmen.
Doch jetzt sollte die neue Koalition schleunigst die Arbeit aufnehmen. In unfassbar langen drei Monaten ohne eine wirklich handlungsfähige Regierung ist viel liegen geblieben.