Mit einer Patientenverfügung vorsorgen
Ein Anwalt rät der Tochter einer 76-jährigen Wachkomapatientin, den Schlauch zu deren Magensonde zu durchtrennen. Die Tochter und der Anwalt werden freigesprochen. Sind jetzt alle Dämme gebrochen? Kann nun niemand mehr darauf zählen, in hilflosem Zustand jede erdenkliche ärztliche Hilfe zu bekommen?
Ist seit gestern gar die aktive Sterbehilfe erlaubt? Die Antwort auf alle drei Fragen lautet nein. Und: Das Urteil des Bundesgerichtshofes ist richtig.
Denn in dem jetzt entschiedenen Fall wurde nur dem Willen der Patientin entsprochen. Diese hatte in Zeiten, in denen sie noch bei Bewusstsein war, den Wunsch geäußert, in einer entsprechenden Situation nicht weiterbehandelt zu werden. Nicht das Unterlassen der Weiterbehandlung ist in einer solchen Situation der Rechtsbruch, sondern deren Fortsetzen - etwa durch künstliche Beatmung oder Ernährung. Strafrechtlich ist dies Körperverletzung ohne Einwilligung.
Durch das im Herbst 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Patientenverfügung wurde der Vorrang des Patientenwillens ausdrücklich geregelt. Was zivilrechtlich erlaubt ist, kann nicht gleichzeitig für die Handelnden mit Strafe bedroht sein.
Das Durchschneiden eines Versorgungsschlauchs ist in einem solchen Fall keine verbotene aktive Sterbehilfe. Das zeigt ein Vergleich mit einer anderen Fallkonstellation: dem erlaubten Abschalten eines Beatmungsgerätes entsprechend einem zuvor geäußerten Willen des Patienten. Wenn dies ein zulässiges Unterlassen weiterer Hilfsmaßnahmen ist, kann für den Abbruch der Ernährung nichts anderes gelten.
Der Knackpunkt des Falles liegt darin, dass der von der Patientin geäußerte Wille zum Abbruch der Behandlung nur mündlich von Zeugen überliefert war. Rechtlich zählt das zwar genauso viel wie eine schriftliche Patientenverfügung, birgt aber immer die Gefahr von Auslegungsschwierigkeiten.
Der Fall ist eine weitere Mahnung, mit möglichst eindeutiger schriftlicher Patientenverfügung beizeiten sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Nur so erspart man den Angehörigen eine schwer auszuhaltende Krise. Denn ohne Patientenverfügung wird ihnen aufgebürdet, die Entscheidung über Leben und Tod mitzutragen - gestützt auf vielleicht mehrdeutige Äußerungen.