Rating-Panne: Blöder Fehler oder wohlkalkulierter Test?
Eine Falschmeldung und ihre dramatischen Folgen
Immerhin bezeichnete EU-Kommissar Michel Barnier die Rating-Panne, die Frankreich und die Finanzwelt erschütterte, als „schwerwiegenden Vorfall“. Dann folgte allerdings in blutleerer Bürokratensprache: „Es ist nun Sache der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA, gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden AMF, die Fakten zu prüfen und Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Das ist banal und verstrahlt beängstigende Hilflosigkeit. Wahrscheinlich würde sich jeder Bürgermeister einer Kleinstadt für solch eine Formulierung schämen.
Die gestelzte Wortwahl entlarvt, dass die Politik gegenüber der Macht der Rating-Agenturen schlicht hilflos ist. Da kann die EU auch ankündigen, sie an die Kette legen zu wollen und sie bei fahrlässiger oder vorsätzlich falsche Bewertung in die Haftung zu nehmen. Das wird nichts helfen, so lange die Finanzmärkte dermaßen aufgeregt sind wie in der derzeitigen Euro-Krise. Die Märkte werden weiterhin hypernervös auf jedes Signal reagieren — und die Agenturen die Forderung nach finanzieller Haftung kalt lächelnd von ihren Juristen abschmettern lassen.
Der Politik bleibt nur der Weg, die Ursachen der Nervosität zu beseitigen. Sie muss alle Kraft daran setzen, die Krise zu beenden. Erst dann kehren Vertrauen und Ruhe zurück — und die Weltwirtschaft fällt nicht gleich in Panik, wenn sich irgendwo ein Computerprogramm verschluckt oder ein Analyst sich einen Aussetzer leistet.
Gerade angesichts der blinden Hörigkeit der Anleger gegenüber den Rating-Agenturen ist die Frage wichtig, wie es bei der Agentur S&P zu der dämlichen Falschmeldung kommen konnte. Die Annahme, es habe sich um einen banalen Alltagsfehler gehandelt, mag man so recht nicht glauben. So etwas darf das Sicherheitssystem solch einer Agentur eigentlich nicht zulasse. Denn das Ereignis ist für das Image von S&P und für die gesamte Branche ein Desaster.
Gestern zu vernehmende Spekulationen, die Falschmeldung sei bewusst gestreut worden, um zu testen, wie die Finanzmärkte auf die Zurückstufung der zweitwichtigsten Volkswirtschaft im Euro-Land reagiert, klingt nach wilder Verschwörungstheorie. Ob sie wirklich absurd ist, werden die nächsten Tage zeigen. Weitere negative Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.