Meinung Schnellschüsse sind Populismus

Die Feststellung, dass die Rucksack-Bombe von Ansbach der erste „echte“ IS-Anschlag auf deutschem Boden gewesen sein könnte, sollte man nicht überbewerten. Im derzeitigen Angst- und Terror-Taumel mag es in Vergessenheit geraten sein, aber der erste islamistische Anschlag (und bislang einzige mit unschuldigen Toten) in Deutschland ereignete sich bereits 2011 am Frankfurter Flughafen, als der damals 21-jährige Kosovo-Albaner Arid Uka zwei US-Soldaten erschoss und zwei weitere schwer verletzte.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Seitdem sind fünf Jahre vergangen, aber es ist vergleichsweise wenig geschehen, um die Radikalisierung von bei uns aufgewachsenen und westlich sozialisierten jungen Männern zu unterbinden, frühzeitig zu erkennen und das Land sicherer zu machen. Der IS würde ja gerne so tun, als könne er zu jeder Zeit nach seinem Belieben an jedem Ort zuschlagen. Das kann er nicht. Er ist eine desorganisierte Gurken-Truppe, der auf einen Haufen von Verlierern, Versagern, psychisch Gestörten und dumme Zufälle angewiesen ist.

Was sich geändert hat, ist die Zahl teils schwer traumatisierter junger Menschen, die mit den vielen Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sind. Es wäre gut, wenn die Kanzlerin ein knappes Jahr nach dem freundlichen Willkommen für mehr als eine Million Menschen damit begänne zu erklären, nicht das, sondern wie wir das schaffen wollen: Welche Gefahren drohen durch traumatisierte, psychisch gestörte Flüchtlinge? Was tun wir? Wie groß ist die Gefahr durch eingeschleppte oder hier entstandene Radikalisierung? Wie machen wir unser öffentliches Leben sicherer — statt es aufzugeben?

Keine dieser Fragen wird mit schnellen Gesetzen zu beantworten sein. Im Gegenteil: In der aktuellen Situation werden sich Bürgerinnen und Bürger nicht mit Debatten und Aktionismus abspeisen lassen, sondern echte Antworten auf echte Gefährdungen verlangen. Die Politik muss sich auf die alte Tugend zurückbesinnen, aus Katastrophen nachhaltig und erfolgreich zu lernen. Und dies muss sichtbar sein. Dies anzustoßen und einzufordern ist Aufgabe der Kanzlerin. Nur Mut, Frau Merkel. Sie schaffen das!

Woher wir diese Gewissheit nehmen? Über nahezu sieben Jahrzehnte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war es eine der großen Stärken der alten Bundesrepublik, aus ihren Katastrophen zu lernen. Jedes Mal, wenn das Land sich in Momenten des Schocks aus der Trauer erhob, wurde es besser gemacht. Und viele dieser Beispiele wurden nach den nächsten Katastrophen auch jeweils als Trost beschworen.

Nach der Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen vom 11. April 1996 hat sich der Brandschutz in Deutschland revolutioniert. Nach dem Geiseldrama von Gladbeck 1988 wurde die Polizei-Organisation in NRW erheblich verbessert. Nach der Flugschau-Katastrophe von Ramstein am 28. August 1988 wurde die medizinische Ausrüstung internationalen Standards angepasst und die heute beispielhafte Notfallnachsorge praktisch erst erfunden.

Auf das Lernen aus Katastrophen, das auch Industrie-Unfälle, wirtschaftliche Desaster und politische Pleiten umfasste, konnten sich die Bürger in der alten Bundesrepublik weitgehend verlassen. Dieses Vertrauen hat Risse bekommen, und wahrlich nicht erst seit dem Wochenende, das die Frage aufwarf, was das Land aus dem Amoklauf in Winnenden vom 11. März 2009 gelernt hat.

Zur Erinnerung: Es gab nach Winnenden Debatten um nahezu jedes berührte Themenfeld, von Computerspielen über Gewaltprävention bis hin zu verschärften Waffengesetzen. Im baden-württembergischen Landtag thematisierte ein Sonderausschuss 40 Handlungsfelder. Was ist aus so gut gemeinten Empfehlungen wie der Stärkung des Erziehungsauftrags der Eltern, dem Ausbau der schulpsychologischen Beratung und eben dem geänderten Waffenrecht geworden? Hat es nichts gefruchtet? Ist das meiste im Debatten-Stadium steckengeblieben?

Schnellschüsse, wie die Forderung nach noch schärferen Gesetzen, dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren oder der schnelleren Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern, helfen nicht weiter. Schnellschüsse sind keine Antwort, sondern Populismus.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hat zwar nicht Unrecht, wenn er eine bessere Kontrolle der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge fordert. Das beantwortet aber nicht die Fragen der Bürgerinnen und Bürger nach der Sicherheit ihres täglichen Lebens. Es ist nicht damit getan, schwer traumatisierte Menschen irgendwo unterzubringen und zu versorgen, man darf sie auch nicht abgleiten lassen. Die Bundeskanzlerin hat am Wochenende gut daran getan, sich nicht schneller zu äußern, als sie überhaupt wusste, worüber nun zu sprechen ist. Dies darf sie heute nicht einer Klausurtagung des bayerischen Kabinetts am Tegernsee überlassen.