Steinbrück braucht mehr Beinfreiheit
Für einen neuen SPD-Kanzlerkandidaten ist es jetzt zu spät
Kaum noch 100 Tage vor der Bundestagswahl könnte die Ausgangslage der Hauptkontrahenten unterschiedlicher nicht sein. Hier die Kanzlerin, Angela Merkel, die am Dienstag und am Mittwoch unter größter öffentlicher Anteilnahme den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama empfängt. Dort der Herausforderer, der SPD-Kandidat Peer Steinbrück, der von der Führungsspitze seiner Partei Rückendeckung einfordern muss, weil er sie sonst offenbar nicht bekommt. Während die Union in Umfragen um die 40-Prozent-Marke landet, kommt die einstige Volkspartei SPD je nach Institut nur noch auf 24, maximal 27 Prozent. Gleichzeitig stabilisieren sich die Grünen im zweistelligen Bereich und frohlocken die Linken. Sie peilen mit ihren postsozialistischen Fantastereien nun schon wieder die Zehn-Prozent-Marke an.
Und schuld daran ist nur die SPD. Ihr ist es seit der Abwahl von Gerhard Schröder nicht gelungen, das Profil als Partei der Erneuerung zu wahren und zu schärfen. Stattdessen distanzierte sie sich immer mehr von den eigenen Erfolgen. Die Selbstdemontage gipfelte in der Ernennung eines eher bürgerlichen Kandidaten, der im Wahlkampf ein deutlich linkes Programm vertreten muss. Wie das funktionieren soll, haben sich nicht nur Sozialdemokraten in der Folgezeit oft gefragt. Inzwischen wissen alle die Antwort: gar nicht. Gabriel als Parteichef und Steinbrück als Kanzlerkandidat — das passt einfach nicht zusammen.
Aber nun ist es zu spät, das Pferd zu wechseln, zumal im Stall der SPD auch keines steht, das der Union gefährlich werden könnte. Steinmeier ist schon einmal geschlagen worden, und andere auch nur halbwegs aussichtsreiche Kandidaten sind nicht in Sicht. Also wird die SPD nicht umhin können, sich zusammenzureißen und Peer Steinbrück die Beinfreiheit zu geben, die er sich zum Start ins Rennen um das Kanzleramt ausbedungen hat. Schließlich ist er Gabriel und den anderen SPD-Linken mit seinem Sinneswandel zum flächendeckenden Mindestlohn und zur höheren Besteuerung von Besserverdienenden schon sehr weit entgegengekommen.
Gängelt die SPD ihren Kandidaten weiter, dann droht ihr ausgerechnet in dem Jahr ein neues Wahldebakel, in dem sie ihr 150-jähriges Bestehen feiert.