Weckruf der Industrie zum Klimaschutz
Man darf sich den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nicht als homogene Organisation vorstellen. Hinter ihr stehen 35 Branchenverbände und mehr als 100 000 Unternehmen. Natürlich gibt es auch dort widerstreitende Interessen und Positionen zum Klimaschutz.
So bezeichnete BDI-Präsident Dieter Kempf gestern das Ziel, die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis 2050 gegenüber 1990 um 95 Prozent zu senken, schon von vornherein als „überambitioniert“.
In den Handlungsempfehlungen der BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ klingt das dagegen moderater. Danach sollte das 95-Prozent-Ziel von der Bundesregierung erst aufgegeben werden, „wenn die Umsetzung vergleichbarer Ambitionen auf globaler Ebene nicht erreichbar ist“. Aber in einer Hinsicht lässt die Studie keinen Zweifel: Wenn 95 Prozent, dann müsste schon in den nächsten Jahren eine klare Entscheidung fallen und die Umsetzung beginnen.
Die eigene Unentschiedenheit spiegelt sich auch wider in der BDI-Warnung vor nationalen Alleingängen einerseits, während es in der Studie andererseits heißt: „Erfolgreicher Klimaschutz in Deutschland könnte international Nachahmer motivieren.“
Aber die entscheidende Botschaft der BDI-Studie ist eine andere: Klimaschutz kann eben erfolgreich sein — und zwar auch wirtschaftlich. Mehrfach ist von „sich bietenden Chancen des Klimaschutzes für die deutsche Industrie“ und „Umsatzchancen für Klimatechnologien“ die Rede. Und eine 80-prozentige Reduktion der Treibhausgase ist aus Sicht der Industrie auch ohne einen globalen Konsens volkswirtschaftlich neutral machbar. Dabei sind Erleichterungen durch mögliche neue Technologien noch gar nicht eingerechnet.
Allerdings funktioniert das alles nur, wenn die politischen und gesellschaftlichen Klimaschutzanstrengungen verstärkt werden. Dass dieser bisher vor allem von Umweltschützern zu vernehmende Weckruf jetzt auch aus der Industrie zu hören ist, erhöht den Druck auf die künftige Bundesregierung. Die politischen Aussagen zu den Klimaschutzzielen müssen endlich mit klaren Rahmenbedingungen untermauert werden. Das gilt für den Schutz vor Produktionsverlagerungen in Länder mit geringeren Emissionsauflagen, aber auch für strittige Themen wie Kohleausstieg, CO2-Preis und Verkehrsemissionen. Die Industrie scheint davor weniger Angst zu haben als die Politik.