Meinung Unwort des Jahres - Seismograf für das Gift in der öffentlichen Debatte

"Alternative Fakten“ (Unwort 2017) sind eine kommunikative Waffe gegen „Volksverräter“ (Unwort 2016), „Gutmenschen“ (Unwort 2015) und die vermeintlichen Verdrehungen der „Lügenpresse“ (Unwort 2014). Und diese Waffe befindet sich in der Hand der Demokratieverächter.

Foto: Sergej Lepke

Wer einen Eindruck gewinnen will, wie sich die öffentliche Debatte der vergangenen Jahre radikalisiert hat, findet im „Unwort des Jahres“ einen verlässlichen Seismografen dafür.

Die Verbalattacken richten sich gegen den Wert einer unabhängigen Berichterstattung, gegen Menschen mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein, gegen Politiker als Repräsentanten der Demokratie. Und sie setzen auf Grenzverschiebung durch Verunsicherung: Wo einer ungewünschten Faktenlage einfach eine falsche Behauptung entgegengesetzt werden kann und beides plötzlich wie gleichberechtigt nebeneinandersteht, ist es nur noch eine Frage der Beharrlichkeit, bis die falsche Behauptung auch als Tatsache durchgeht.

Diese populistische Strategie ist doppelt vergiftet. Zum einen, weil sie geschickt mit einem Unbehagen spielt, das es ja durchaus immer wieder gegeben kann: bei journalistischen Fehlern und Fehleinschätzungen, bei naivem Schönreden gesellschaftlicher Konfliktfelder, bei politischen Nebelkerzen. Zum anderen, weil die verbalen Holzhämmer an den Rändern der gesellschaftlichen Debatten mit ihren Erschütterungen irgendwann auch bis in die Mitte vordringen.

Denn an differenzierter Einzelfallprüfung sind die sprachlichen Amokläufer gar nicht interessiert. Sie wüten mit dem Ziel, die Gesellschaft zu verändern. Und viele Diskussionen, nicht nur in sozialen Netzwerken, deuten darauf hin, dass ihnen das in Teilen schon gelungen ist. Der Tonfall ist auch jenseits der Verwendung von Unwörtern rauer geworden. Verächtlichkeit als Diskussionsstrategie wird längst bis in die gesellschaftliche Mitte hinein praktiziert.

Das Unwort 2017 hat seinen Ursprung in der US-Regierung. Das ist die eigentlich erschütternde Erkenntnis — und eine Anfrage an jede Demokratie, wie weit sie es kommen lassen will. Wie sehr sie bereit ist, sich von ihren Verächtern vergiften zu lassen. Und ob sie noch zur Verteidigung einer respektvollen Diskussionskultur in der Lage ist.

Ja, Streit muss sein. Ja, Dinge können unterschiedlich bewertet werden. Aber zu Fakten als Basis gibt es keine Alternativen.