Westen braucht zielgenaue Russland-Strategie
Putins scheindemokratische Wiederwahl hat einen Makel: So etwas ist für einen Potentaten, der geliebt werden will, so wenig befriedigend wie ein Puffbesuch für den, der nach echter Zuneigung sucht. Die russische Jugend spürt, dass das Land mit einem von Korruption und Staatsgewalt durchtränkten System nicht vorankommt.
Und seit die Staatseinnahmen mit den Ölpreisen zurückgehen, merken langsam auch die Alten, dass man Nationalstolz nicht essen kann. Wer jung ist und Geld hat, geht in den Westen. Wer kein Geld hat, friert in schlecht beheizten Wohnungen. Die Wahl gestern bedeutet: Sechs weitere Jahre Putin. Mindestens. Vielleicht noch mehr. Putin steht jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Zugleich aber wächst seine Angst. Seit die Wirtschaft nicht mehr läuft, hat er auf Nationalismus und militärische Stärke als Ersatzdroge fürs Volk gesetzt. Krim-Annexion, der Krieg im Donbass, Syrien, zuletzt die Giftgasanschläge von Salisbury. Diese Strategie schreit nach Eskalation, um die Ablenkung von der inneren Misere zuverlässig aufrecht zu erhalten. Sie ist damit für den Rest der Welt kreuzgefährlich.
Der Westen muss geschickt und differenziert reagieren. Zuallererst natürlich geschlossen, denn „teile und herrsche“ ist Putins erste Methode gegen ihn. Er versucht das auch durch die Infiltration der öffentlichen Meinung, ein Treiben das man auf Dauer im Westen nicht mehr einfach so hinnehmen sollte. Ein weiterer Teil der Antwort muss militärisch sein, vor allem im bedrohten Baltikum. Es ist wahr: Ein Stück weit kehrt so der kalte Krieg zurück. Aber es kann der Frömmste in Frieden nicht leben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Auf der anderen Seite aber muss stets die zur Kooperation ausgestreckte Hand sichtbar sein, auch seitens der Nato. Die Gespräche über die vollständige Umsetzung des Minsk-Abkommens müssen weiter gehen, die Wirtschaftssanktionen aber überprüft werden. Sie treffen zu sehr das ganze Volk und zu wenig die Clique um Putin. Der Stopp der Gaspipeline Nordstream II durch die Ostsee wäre hingegen sinnvoller. Denn das ist eine reine Devisenbeschaffungsinvestition, die im Nebeneffekt Polen und die Ukraine erpressbarer durch Russland macht. Und die letztlich Russlands Rüstung finanziert. Ein solcher Stopp würde sehr genau die staatlichen Oligopole treffen, von denen Putin lebt. Ein Boykott der Fußball-WM hingegen nur das Herz der russischen Fans.