Analyse Außenpolitik ist Putins Fluch und Segen
Moskau (dpa) - Wladimir Putin will sich auf der Welle außenpolitischer Erfolge wie der Krim-Annexion in seine vierte Amtszeit als Präsident Russlands tragen lassen.
Doch der Streit mit Großbritannien im Fall des vergifteten Ex-Doppelagenten Sergej Skripal droht die erwartete Wiederwahl zu überschatten und zu einem diplomatischen Schlagabtausch zu werden. Vor der Wahl an diesem Sonntag veranschaulicht der Fall typische Mechanismen russischer Krisen-Politik.
Schritt eins: Außenminister Sergej Lawrow weist Russlands Beteiligung am Anschlag auf Skripal zurück. „Russland ist nicht schuldig“, sagt er und fordert Zugang zu den britischen Ermittlungen.
Schritt zwei: Putins Sprecher Dmitri Peskow sagt: „Moskau akzeptiert keine haltlosen, durch keinerlei Beweise gedeckten Anschuldigungen und beugt sich nicht der Sprache von Ultimaten.“ Es folgen Drohungen.
Schritt drei: Der Kreml deutet den Willen zur Zusammenarbeit an - es soll nicht wirken, als sei Moskau unkooperativ. Selten folgen Ergebnisse.
Dementi, Drohung, offenes Hintertürchen - nach diesem Muster reagiert Russland oft auf Konflikte mit dem Westen. Die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014, Moskaus Hilfe für Separatisten im Donbass, die Intervention im Syrien-Krieg und US-Vorwürfe einer Einmischung Russlands in die Präsidentenwahl 2016 - die Liste der Streitfragen ist lang. Das Verhältnis zwischen Ost und West rutschte so auf einen Tiefpunkt seit dem Kalten Krieg.
Dabei ist die Außenpolitik aus Putins Sicht eine Erfolgsstory. Kein Ort verkörpert dies besser als die Schwarzmeerhalbinsel Krim. Bei der Wahl an diesem Sonntag ist sie Putins symbolischer Trumpf, denn sie hat seine Beliebtheit auf einen Höhepunkt katapultiert. So ist es kein Zufall, dass Russland ausgerechnet am 18. März wählt - dem Tag, an dem die Krim Teil der Russischen Föderation wurde.
Doch die Krim ist nicht nur Schauplatz von Putins wohl größtem Sieg. Sie steht auch symbolisch für die Angst des Westens vor einem neuen Kalten Krieg. Wird Putins vierte Amtszeit Frost bringen, oder ist auch ein Tauwetter möglich?
Der Außenpolitiker Konstantin Kossatschow zerstreut Hoffnungen, solange der Westen Moskau mit Sanktionen überzieht. „Anzunehmen, dass Sanktionen, Drohungen und Druck irgendwie Einfluss haben auf unsere außenpolitische Linie, das ist absolut naiv. So wird es nicht kommen, wir können lange abwarten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Kossatschow ist Chef des Außenausschusses im Föderationsrat und ein treuer Vertreter der Kreml-Linie. Er wertet die 18-jährige Ära Putin als Erfolg. Außenpolitik müsse Sicherheit und Wohlstand garantieren und die nationale Würde stärken, sagt er. Die chaotischen 1990er Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion seien vom Gegenteil geprägt gewesen. „So gesehen ist klar, dass Russland seit 18 Jahren auf einem glänzende Weg ist, diese Aufgaben zu erfüllen.“
Doch Kossatschow sagt auch, Russland wolle nicht Weltmacht werden. „Russland hat keine Ambitionen, die Welt zu regieren oder Weltpolizei zu sein.“ Stattdessen trete Moskau für eine multipolare Ordnung ein. „Wir kämpfen nicht mit den USA um den Platz an der Spitze der Pyramide. Wir sind aufrichtig überzeugt, dass nicht ein Land alleine die Welt führen kann. Nicht Russland, nicht die USA“, sagt er.
Wie Russland erreichen will, dass es auf Augenhöhe mit den USA, der EU oder China verhandelt, hat Putin zwei Wochen vor der Wahl klargemacht. Abschreckung heißt das Zauberwort, mit dem er Aufmerksamkeit erregt. „Niemand hat uns zugehört. Hören Sie uns jetzt zu!“, sagte er bei der Präsentation neuer Atomwaffen. Im Westen löste er damit einen Schock aus. Beobachter fürchten ein Wettrüsten.
„Die außenpolitische Souveränität und die Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, sind die Basis für die russische Staatlichkeit“, erklärt der Experte Dmitri Trenin von der US-Stiftung Carnegie-Zentrum in Moskau. Doch Putins Außenpolitik hat mehr zu bieten. Sie ist komplexer geworden.
Neben traditioneller Diplomatie setze Moskau verstärkt auf informelle Kanäle, analysiert Trenin. Stichwort TV-Sender RT (früher Russia Today): Propaganda sei ein Instrument geworden, um über kremlfreundliche Medien die Demokratie im Westen zu untergraben. Moskau dementiert dies freilich.
Gleiches gilt Trenin zufolge für den Einsatz von nicht-staatlichen Gruppen. „Patriotische Hacker“ würden im Zusammenhang mit der Wahleinmischung in den USA genannt, nicht staatliche; „Freiwillige“ aus Russland kämpften an der Seite der Separatisten in der Ostukraine, nicht russische Soldaten; und in Syrien sollen russische Söldner im Einsatz sein, wird berichtet.
Manche sehen in Putins Politik ein Signal der Stärke an seine Wähler. Auch der diplomatische Zwist mit London im Agenten-Krimi komme dem Wahlkämpfer Putin gelegen. Denn so könne er Russland als belagerte Festung stilisieren - und sich selbst als Garanten der Sicherheit.
Experten wie Trenin warnen indes vor einer dauerhaften Logik der Konfrontation. Auch Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow ist alarmiert. „Die Verantwortung für einen Ausweg aus der Sackgasse liegt bei den Anführern der USA und Russlands“, mahnt Gorbatschow.