Analyse Fünf Fragezeichen im Kabinett Merkel IV
Berlin (dpa) - Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Gustav Heinemann, Franz Josef Strauß, Karl Schiller und Hans-Jürgen Wischnewski - das Kabinett der ersten großen Koalition 1966 versammelte illustre Namen.
Und mit Kai-Uwe von Hassel auch einen Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 19 Männer und eine Frau bildeten damals das Kabinett. Das hat sich geändert: Mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt es anno 2018 bei der vierten großen Koalition sieben Frauen und neun Männer. Fünf Fragen sind besonders interessant.
1. HARMONIEREN MERKEL UND SCHOLZ? Merkel muss sich mit Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der Europapolitik einigen. Sollen Milliarden zum Kampf gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in der EU fließen, soll mehr Haftung übernommen werden für die Schulden anderer? Und wie antwortet Deutschland auf die „Mehr Europa“-Reformvorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron? Umstritten ist zudem ein Sicherungssystem für Sparguthaben. Deutsche Banken befürchten, sie könnten am Ende für in Schieflage geratene Institute in anderen EU-Ländern haften. Von 2007 bis 2009 war Scholz schon Bundesarbeitsminister unter Merkel, mit Kurzarbeitsregelungen wurden hunderttausende Jobs gerettet - als Kassenwart hat Scholz viel mehr Macht, um Merkel zu ärgern und „roten“ Projekten Vorrang zu geben. Aber neue Schulden will er nicht.
2. SPAHN, DIE LOSE KANONE? Nach Meinung von AfD-Chef Alexander Gauland ist der konservative Merkel-Kritiker Jens Spahn nur deshalb Gesundheitsminister geworden, weil die AfD so stark geworden ist. Spahn geißelte Merkels Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen. Und noch vor dem Start der Koalition provozierte er die SPD mit der Aussage, mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“. Kritiker warfen ihm daraufhin unter anderem vor, die Unterschiede zwischen Arm und Reich herunterzuspielen. Momentan erhält ein Erwachsener ohne Job, der allein zur Miete wohnt, im Monat 416 Euro Arbeitslosengeld II.
3. SEEHOFER VS. BARLEY? Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags schäkerten sie fast: Innen-, Bau- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) und die Justizministerin Katarina Barley (SPD) werden bei der Ausarbeitung der Gesetze für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen streiten - die SPD versteht die angestrebte Begrenzung auf 180.000 bis 220.000 nicht als eine feste Obergrenze. Seehofer will eine harte Linie bei der inneren Sicherheit, schon in der letzten Koalition wurde zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung zum großen Zankapfel. Und eine Frage ist, wie Seehofer mit dem Superministerium klarkommt.
4. WAS MACHT GIFFEY? Bisher war Franziska Giffey (SPD/39) die resolute Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln und musste dort das Zusammenleben mit Bürgern aus 150 Ländern organisieren. Sie prangert es an, wenn ihr Muslime nicht die Hand geben wollen, weil sie eine Frau ist. Und sagt: „Wir brauchen einen starken Staat, der sagt: Es gibt Grenzen.“ Bei der SPD reichen in der Flüchtlingspolitik die Pole von weiter großer Aufnahmebereitschaft bis zu der Forderung, die Grenzen dichtzumachen. Wird Giffey als Familien- und auch Integrationsministerin zum Gesicht für einen neuen pragmatisch-humanitären Ansatz der SPD und der Koalition?
5. KEIN WEITER SO? Nur Ursula von der Leyen (CDU/Verteidigung) und Gerd Müller (CSU/Entwicklung) bleiben neben Merkel auf dem gleichen Posten wie im vorherigen Kabinett. Der Durchschnitt liegt bei gut 51 Jahren - es könnte bei so vielen neuen Ressortchefs spannende Akzente geben, aber auch mehr Reibereien. Stichwort: mehr Profilierung, um Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Und wie wird sich die frühere Hotelmanagerin Anja Karliczek (CDU) als Bildungsministerin schlagen? Wird Peter Altmaier (CDU) als Wirtschaftsminister zum Hans Dampf in allen Gassen, der die Energiewende zur Chefsache macht, Amtskollegen zuhause bekocht und energisch gegen einen Handelskrieg mit den USA kämpft? Und kann ein Außenminister Heiko Maas (SPD) seinem russischen Pendant Sergej Lawrow Paroli bieten? Langweilig wird es nicht.