Analyse Seehofer und die AfD
Berlin (dpa) - Trocken und nüchtern stellt Bundesinnenminister Horst Seehofer seine Pläne für diese Legislaturperiode vor. Keine Sticheleien in Richtung SPD. Kein Wort zur Islam-Debatte, die er gerade erst ohne Not mit dem Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ wieder losgetreten hat.
Nur der AfD verpasst der CSU-Chef einen dezenten Seitenhieb. Er sagt: „Null Toleranz gibt es für mich auch bei Hassparolen und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen.“
Doch bevor Seehofer am Freitag im Bundestag sprechen kann, muss er erst einmal die AfD ertragen. Sie fordert - für alle anderen Fraktionen überraschend - per Geschäftsordnungsantrag eine Abstimmung zum Thema EU-Autoabgasnormen. Vielleicht auch, um die Aufmerksamkeit der Abgeordneten und Journalisten zu kapern, die gespannt auf Seehofers Antrittsrede warten. Die AfD-Abgeordneten rufen laut, fuchteln wütend mit den Armen. Seehofer verfolgt all das mit versteinerter Miene und richtet seine Krawatte. Der AfD-Antrag wird abgeschmettert.
Als Seehofer ans Rednerpult tritt, würdigt er das lautstarke Vorspiel keines Kommentars. Stattdessen reklamiert er die Einigung von CDU, CSU und SPD zum Thema Zuwanderung für sich. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle „erreichen, dass bei Einhaltung all unserer internationalen, europäischen und nationalen humanitären Verpflichtungen pro Jahr nicht mehr als 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge in unser Land kommen“. Diese nicht wirklich verbindliche „Obergrenze“ sieht Seehofer als sein tapfer erstrittenes Verdienst. Er bemerkt: „Ich habe das erlebt, was man neudeutsch als Shitstorm bezeichnet.“
Die SPD hat dieser Kompromiss geschmerzt. Dennoch muss schon genau hinhören, wer an diesem kühlen Frühlingstag nach inhaltlichen Differenzen zwischen den Koalitionspartnern sucht. Seehofer, vielleicht auch mit der bayerischen Landtagswahl im Oktober im Hinterkopf, will jetzt Dampf machen. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause möchte er die ersten Gesetzesentwürfe vorlegen. SPD-Fraktionsvize Eva Högl erklärt dagegen, man habe sich „vorgenommen, etwas weniger Gesetzgebung zu machen“ und lieber dafür zu sorgen, dass bereits beschlossene Maßnahmen umgesetzt werden, etwa mit mehr Polizisten.
Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka hält Seehofer vor, seine Äußerung zum Islam zeuge in einer Zeit, in der Moscheen angegriffen würden, von mangendem Fingerspitzengefühl. Er ermahnt ihn: „Sie sind eben jetzt für den inneren Frieden in unserem Land verantwortlich.“
Insgesamt entsteht jedoch der Eindruck, dass sich die SPD für ihre Erneuerung und Abgrenzung zur Union andere Politikfelder aussuchen wird als die Migrationspolitik. Die war in der vergangenen Legislaturperiode und auch bei ihren Sondierungsverhandlungen mit CDU und CSU einer der Hauptstreitpunkte gewesen. Profitiert hat die SPD davon, dass sie in dieser Frage lange näher bei den Grünen stand als bei der Union, aber nicht.
Ihre neue Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die als ehemalige Bezirksbürgermeisterin im Brennpunkt-Kiez Berlin-Neukölln für „street credibility“ steht, sagt zwar gerne optimistische Sätze wie: „Es ist nicht wichtig, woher du kommst, sondern wer du sein willst.“ Gleichzeitig warnt sie davor, AfD-Wähler nicht ernst zu nehmen. Sie analysiert: „Wenn mir 100 Menschen sagen, wir haben ein Problem, dann ist es höchstwahrscheinlich so, dass wir eins haben, und dann müssen wir uns darum kümmern.“
Dafür, dass er sich ein „Superinnenministerium“ mit Zuständigkeiten für Bau und Heimat zusammengezimmert hat, muss Seehofer Kritik einstecken. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warnt: „Wenn Sie dieses Parlament hier zu einer kleinkarierten Weißwurstbude machen wollen, Herr Seehofer, dann sind wir nicht dabei.“
Doch wer weiß, vielleicht wäre die Kritik von Grünen und Linken an dem CSU-Innenminister noch deutlich schärfer ausgefallen, wenn die AfD nicht dabei wäre, die Seehofers Obergrenze einen „Etikettenschwindel“ nennt. Dem AfD-Abgeordneten Gottfried Curio, der die Regierung zuvor scharf angegriffen hat, ruft von Notz zu: „Ihr ganzer Hass, ich habe keine Ahnung, woher er kommt.“