Analyse Seehofer und Spahn können auch zahm
Berlin (dpa) - Trocken und nüchtern stellt Horst Seehofer seine Pläne für die Legislaturperiode vor. Keine Sticheleien in Richtung SPD bei seiner ersten Bundestags-Rede als neuer Innenminister.
Kein Wort zur Islam-Debatte, die der CSU-Chef gerade erst wieder ohne Not mit dem Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ losgetreten hat.
Ähnlich hält es ein paar Stunden später CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich zuletzt markig über Hartz IV und Abtreibungen ausgelassen hatte - jetzt geht es strikt zur regierungsamtlichen Sache. Ganz ungeschoren kommen die beiden Profi-Provokateure aber nicht davon.
Bevor Seehofer im Plenum sprechen kann, muss er erst einmal die AfD ertragen. Sie fordert - für alle anderen Fraktionen überraschend - per Geschäftsordnungsantrag eine Abstimmung zum Thema EU-Autoabgasnormen. Vielleicht auch, um die Aufmerksamkeit der Abgeordneten und Journalisten zu kapern, die gespannt auf Seehofers Antrittsrede warten. Die AfD-Abgeordneten rufen laut, fuchteln wütend mit den Armen. Seehofer verfolgt all das mit versteinerter Miene und richtet seine Krawatte. Der AfD-Antrag wird abgeschmettert.
Als Seehofer ans Rednerpult tritt, würdigt er das lautstarke Vorspiel keines Kommentars. Stattdessen reklamiert er die Einigung von CDU, CSU und SPD zum Thema Zuwanderung für sich. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle „erreichen, dass bei Einhaltung all unserer internationalen, europäischen und nationalen humanitären Verpflichtungen pro Jahr nicht mehr als 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge in unser Land kommen“. Diese nicht wirklich verbindliche „Obergrenze“ sieht Seehofer als sein tapfer erstrittenes Verdienst. „Ich habe das erlebt, was man neudeutsch als Shitstorm bezeichnet.“
Die SPD hat dieser Kompromiss geschmerzt. Dennoch muss schon genau hinhören, wer an diesem kühlen Frühlingstag nach inhaltlichen Differenzen zwischen den Koalitionspartnern sucht.
Seehofer, vielleicht auch mit der bayerischen Landtagswahl im Oktober im Hinterkopf, will jetzt Dampf machen. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause möchte er erste Entwürfe vorlegen. SPD-Fraktionsvize Eva Högl erklärt dagegen, man habe sich „vorgenommen, etwas weniger Gesetzgebung zu machen“ und lieber dafür zu sorgen, dass bereits beschlossene Maßnahmen umgesetzt werden, etwa mit mehr Polizisten.
Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka hält Seehofer vor, seine Äußerung zum Islam zeuge in einer Zeit, in der Moscheen angegriffen würden, von mangendem Fingerspitzengefühl. Er ermahnt ihn: „Sie sind eben jetzt für den inneren Frieden in unserem Land verantwortlich.“
Insgesamt entsteht jedoch der Eindruck, dass sich die SPD für ihre Erneuerung und Abgrenzung zur Union andere Politikfelder aussuchen wird als die Migrationspolitik. Die war in der vergangenen Legislaturperiode und auch bei ihren Sondierungsverhandlungen mit CDU und CSU einer der Hauptstreitpunkte gewesen. Profitiert hat die SPD davon, dass sie in dieser Frage lange näher bei den Grünen stand als bei der Union, aber nicht.
Dafür, dass er sich ein „Superinnenministerium“ mit Zuständigkeiten für Bau und Heimat zusammengezimmert hat, muss Seehofer Kritik einstecken. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warnt: „Wenn Sie dieses Parlament hier zu einer kleinkarierten Weißwurstbude machen wollen, Herr Seehofer, dann sind wir nicht dabei.“
Doch wer weiß, vielleicht wäre die Kritik von Grünen und Linken an dem CSU-Mann noch schärfer ausgefallen, wenn die AfD nicht dabei wäre, die Seehofers Obergrenze einen „Etikettenschwindel“ nennt. Dem AfD-Abgeordneten Gottfried Curio, der die Regierung scharf angegriffen hat, ruft von Notz zu: „Ihr ganzer Hass, ich habe keine Ahnung, woher er kommt.“
Nach Debatten zu Landwirtschaft und Umwelt kommt am späten Nachmittag Spahns Stunde. Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann kündigt den Gesundheitsminister versehentlich als „Doktor“ an. Der konzentriert sich dann ganz auf Fachthemen wie Pflege und lange Wartezeiten beim Arzt. Nur ein Halbsatz deutet darauf hin, dass da noch was anderes war. Von der Geburt bis zum Sterben stehe das Gesundheitswesen ja im Fokus, sagt Spahn und flicht kurz ein: „Wir erleben dieser Tage in mancher Debatte, manchmal geht's schon um Fragen vor der Geburt.“
Tatsächlich haben wohl alle im Plenum präsent, wie der 37-Jährige gerade erst die „Maßstäbe“ bei Rufen nach einem Aus des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche einsortierte: „Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos.“ Ein Wochenende zuvor hatte er - noch nicht als Minister - schon über Hartz IV räsoniert, das „nicht Armut“ bedeute.
Von mehreren Rednern bekommt Spahn dafür sein Fett weg. In kurzer Taktung haue er Provokationen heraus, was normalerweise für eine ganze Politiker-Karriere reichen würde, meint der Linke-Abgeordnete Harald Weinberg. „Hoffen wir, dass er in sich geht und die Schlagzahl mindert.“ Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) rügt Spahns Aussagen zum Thema Abtreibungen, das nicht für „Haudrauf-Rhetorik“ tauge. Katja Dörner von den Grünen meldet Zweifel an Spahns Amts-Eignung an, und zwar ausdrücklich nicht fachlich. Ein guter Gesundheitsminister müsse sich aber „in Menschen hineinversetzen wollen und auch können“.
Eine, die zu Spahn und Seehofer ein spezielles Verhältnis pflegt, bekommt die Premieren-Auftritte ihres konservativen Kontrahenten und des CSU-Chefs in frischen Ministerehren nicht aus der Nähe mit. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist gerade beim EU-Gipfel in Brüssel.