Meinung Wohlstandsgefälle wächst: Warum das gefährlich ist
Meinung · Die soziale Schere zwischen Arm und Reich hat sich nach vielen Jahren des Aufschwungs nicht geschlossen, sondern weiter geöffnet. Doch es gibt Wege, das zu ändern.
In Deutschland gibt es zwischen den Regionen ein riesiges Wohlstandsgefälle. Im Landkreis Starnberg liegt das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen mit knapp 35 000 Euro mehr als doppelt so hoch wie in Gelsenkirchen. Oft reichen schon wenige Kilometer, um den Unterschied zwischen Reichtum und Armut zu erleben. Wer aus Wuppertal oder Krefeld in die Düsseldorfer Innenstadt kommt, wähnt sich in einem anderen Land ohne Leerstand, Hartz-IV-Empfänger und Müll. So schief solche Vergleiche auch sein mögen, die Fakten lassen sich nicht wegdiskutieren: Die soziale Schere zwischen Arm und Reich hat sich hierzulande nach vielen Jahren des Aufschwungs nicht geschlossen, sondern weiter geöffnet. Der Eindruck, dass es ungerecht zugeht, verfestigt sich. Das stärkt die politischen Ränder und könnte in der Unregierbarkeit des Landes münden.
Dabei sind zentrale Probleme durchaus lösbar. Zum Beispiel die erdrückende Schuldenlast vieler Kommunen. Bund und Länder übertragen ihnen Aufgaben, ohne das Geld für deren Bezahlung vollständig mitzuliefern. Das gilt für die Kosten der Unterkunft von Flüchtlingen ebenso wie für den Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende. Bund und Länder entscheiden, Städte und Gemeinden bezahlen. Wuppertal, Duisburg, Oberhausen und viele andere Städte sind pleite. Sie brauchen einen Schuldenschnitt, um so in Schulen, Kindergärten und Straßen investieren zu können. Nur dann sind sie im Wettbewerb um Firmen, Fachkräfte und Familien konkurrenzfähig.
Die Entschuldung der Kommunen wäre ein wichtiger Schritt, um dem verfassungsmäßigen Gebot zur Angleichung der Lebensverhältnisse zu entsprechen. Um Gutverdiener stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, sind Änderungen des Steuersystems möglich und notwendig. Dass international tätige Konzerne ganz legal oft so gut wie nichts an den Fiskus zahlen, ist den immer noch vorhandenen Steuer-Schlupflöchern zu verdanken. Dass der Spitzensteuersatz heute erheblich niedriger liegt als zu Zeiten eines Kanzlers Helmut Kohl, ist das Ergebnis effizienter Lobbyarbeit, aber in der Sache nicht zwingend. Dass die Erbschaftsteuer mit Einnahmen von sechs Milliarden Euro den Charakter einer Bagatellsteuer hat, ist nicht nachvollziehbar. Und dass wir uns mit dem Ehegattensplitting jährlich ein 15-Milliarden-Euro-Steuergeschenk zur Förderung der Einverdiener-Ehe leisten, ist nur noch anachronistisch. Es gibt Möglichkeiten, dem für unsere Gesellschaft so gefährlichen Wohlstandsgefälle etwas entgegenzusetzen. Was fehlt, ist der politische Wille, der Forderung nach mehr Gerechtigkeit konkretes Handeln folgen zu lassen.