Meinung Zu absurd und unsinnig, um eine Beleidigung zu sein?
Wirklich keine Beleidigung? Und gar von der Kunstfreiheit gedeckt? Wer den Vortrag des Schmähgedichts des Satirikers Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan Ende März im Fernsehen verfolgt hat, mag seine Zweifel gehabt haben.
Die meisten Menschen aber konnten sich kaum ein eigenes Bild machen, als die Diskussion sich bis zu einer Staatsaffäre hochschaukelte — weil Erdogan die Verbreitung der bösen Worte per einstweiliger Verfügung durch das Landgericht Hamburg stoppen ließ.
Über das Verfahren in der Hauptsache muss dass Gericht noch entscheiden. Pikant: Ausgerechnet über eine Pressemitteilung der Hamburger Justiz ist das Gedicht in seiner vollen Geschmacklosigkeit noch heute abrufbar. Und so kann sich jeder selbst ein Bild machen, ob er die gestrige Entscheidung der Mainzer Staatsanwaltschaft teilen mag, das Strafverfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung einzustellen. Die Anklagebehörde jedenfalls lässt die von rassistischen Vorurteilen und sexuellen Verbalattacken nur so strotzenden Zeilen als straflos durchgehen.
Weil die Staatsanwaltschaft keine Beleidigung erkennen mag, hat sie gleich zwei Verfahrensstränge ins Leere laufen lassen. Die Beleidigung von Erdogan als Mensch und als Staatsoberhaupt. Der letztere Aspekt hatte Kanzlerin Merkel, die „die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts“ gegeben hatte, Ärger eingehandelt. Dabei hatte sie nur den Weg dafür freigegeben, was man in einem Rechtsstaat erwartet: Die Verfolgung möglicher Rechtsverstöße ist Sache der Justiz.
Dort schafft es der Fall nun nicht einmal über die erste Hürde — Einstellung des Verfahrens, kein Strafprozess. Nun ist Erdogan einer, der bekanntermaßen selbst hart im Austeilen ist. Der Schicksale ganz anders beeinflusst als ein Satiriker. Ein Satiriker, dem aus Sicht der Ermittler zugute kommt, dass seine Worte so absurd und unsinnig waren, dass sie nicht als ernst gemeinter Angriff misszuverstehen seien. Zumal ja Böhmermann sein „Gedicht“ mit den Worten eingeleitet hatte, so etwas sei nicht erlaubt. Genialer Trick! Ob der auch funktioniert, wenn man jemandem ins Gesicht schlägt, so lange man dies nur vorher ankündigt?
Kunstfreiheit, Freiheit der Satire — das sind wichtige Werte. Doch in Zeiten, in denen täglich gefordert wird, etwas gegen Hassattacken im Netz zu tun, wäre es besser, wenn ein Gericht den Fall beurteilte.