Nach dem Ansturm: Auszeit für die Mediothek

Am Samstag kamen noch mal 1000 Besucher, um sich 8000 Medien auszuleihen. Jetzt ist die Bibliothek am Theaterplatz bis 20. April geschlossen.

Leergefegt: Evelyn Buchholtz am Dienstag in der menschenleeren Bibliothek.

Foto: wz/Heimann

„Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.“ Das Zitat des deutschen Dichters Heinrich Heine müssen die Verantwortlichen der Krefelder Mediothek wohl im Kopf gehabt haben, als sie am Samstag kurz vor Toresschluss einen bisweilen einmaligen Ansturm auf ihr Haus erlebt haben. Knapp 1000 Menschen waren in drei Stunden in die städtische Bibliothek gekommen, um am vorerst letzten Öffnungstag im Zusammenhang mit der Corona-Krise über 8000 Medien buchstäblich herauszuschleppen. Zum Vergleich: An normalen Samstagen kommen zwar auch 600 bis 700 Menschen, sie leihen dann aber „nur“ 2100 bis 2500 Medien aus.

„Das war für mich der Beleg, dass das Buch ein Lebensmittel ist. Ich hatte das Gefühl, dass sie Angst haben, auf dem Trockenen zu sitzen“, beschreibt die Leiterin Evelyn Buchholtz ihre Eindrücke, die auch Tage danach noch so lebhaft sind, als wären die Massen gerade um die Ecke gezogen. „Ein Student stand völlig konsterniert vor mir und fragte mich: Was ist denn bei euch los?“, erinnert sich die Chefin der Mediothek an die Reaktion eines jungen Mannes, der sehr wohl über das Coronavirus und dessen Auswirkungen informiert gewesen sei. Nur derartige Zustände habe er in einer Bücherei noch nicht gesehen.

Das Limit von 50 Büchern pro Ausleihe wurde aufgehoben

Dass Bücher immer noch gelesen werden von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern – trotz PC, Smartphone und Playstation: Geschenkt! Aber das sie wie Mehl, Eier und Butter aus den Regalen gezogen und dann abtransportiert wurden, „das haben wir hier noch nie erlebt“.

Normalerweise dürfen nur 50 Bücher pro Ausleihe mitgenommen werden. „Dieses Limit haben wir ausgesetzt“, sagt die 61-jährige Chefin der Mediothek. Wie weit dann die Grenze nach oben ausgereizt worden sei, habe man nicht mehr erfasst. Zum „Abtransport“ seien ganze Familien mit riesigen Einkaufstaschen angerückt. Und was dort nicht mehr hineinpasste, wurde auf Händen gestapelt.

Besonders begehrt waren laut Simon Hoffmann, stellvertretender Leiter der Mediothek, Kinderbücher. „Nicht nur ,Die drei ???’, sondern auch Bilderbücher für die kleinen Kinder.“ Bei den Erwachsenen steht erfahrungsgemäß auch in der Ferienzeit die Belletristik hoch im Kurs. Romane und Krimis waren demnach besonders gefragt. Laut Evelyn Buchholtz sei die hohe individuelle Zahl der Ausleihen auch darauf zurückzuführen, dass Ausfälle mit einkalkuliert worden seien. Für Bücher, die nicht gefallen, sei dann immer noch genug Ersatz vorhanden.

Die Erinnerungen an den Samstag sind zwar noch frisch, doch drei Tage danach herrscht in der Mediothek nun ein ganz anderes Bild. Und damit ist das Heine-Zitat natürlich auch schief. Schließlich ist die Welt der Viren derzeit viel gewaltiger und lässt sogar eine Bibliothek kapitulieren – sie muss bis zum 20. April geschlossen bleiben.

Auf den neugierigen Eindringling wirkte die Mediothek deshalb am Dienstag wie eine Geisterbibliothek. Keine Menschen stöbern in den Regalen nach Lesestoff, kein Flüstern, kein Räuspern, kein einziger Schüler hat sich auf der Empore in der 1. Etage niedergelassen, und natürlich sind auch die drei Lernstudios zum eigenständigen Lernen leergefegt.

Jetzt ist Zeit für eine systematische Regalreinigung

„Fegen“ ist in diesen Tagen auch ein Art Stichwort für die Tätigkeit aller Mitarbeiter des Hauses in 30 Vollzeitstellen. Trotz des Besuchsverbotes geht der Arbeitsalltag der Mitarbeiter weiter, wenn auch der Eingangsbereich für die Ausleihen und Rückgaben unbesetzt ist. „Schauen sie mal auf meinen Schreibtisch“, sagt die Diplom-Bibliothekarin und deutet mit ihrer Hand auf Stapel von Unterlagen, die durchgearbeitet werden wollen. Zudem müsse auch mal der E-Mail-Eingang abgearbeitet werden, Jetzt ist die Zeit dafür. Und nicht nur dafür: Begonnen hat bereits eine systematische Regalreinigung. Dort, wo „Die drei ???“ normalerweise aufgereiht sind, besteht jetzt beispielsweise eine gute Gelegenheit dafür.

Viele Tagesgeschäft laufen
in der Mediothek weiter

Aber auch das Tagesgeschäft läuft in vielen Bereichen weiter. Am Eingang ist das deutlich zu sehen. Dort werden Lieferanten gebeten, den Klingelknopf zu drücken, damit ihnen geöffnet wird. Die Neubestellungen müssen angenommen, katalogisiert, ausgezeichnet, foliert und eingeordnet werden.

Auch die Rechnungen der Bestellungen landen weiter auf dem Schreibtisch von Evelyn Buchholtz. Und Veranstaltungen, die es sonst zahlreich gibt im Haus am Theaterplatz, müssen weiter konzipiert werden. Schließlich besteht die Hoffnung, dass der Betrieb in der Mediothek spätestens im Mai wieder anläuft. „Aber das ist so, als würde man in einer Glaskugel lesen.“