Berlin. Neue Messwerte und viel dicke Luft

Berlin. · Um Stickoxide, Fahrverbote, Nachrüstungen und Grenzwerte streitet die Politik heftig. Die jüngsten Zahlen lassen ahnen: Die Diesel-Krise ist noch lange nicht vorbei.

Sie sollen die harte, messbare Währung sein in der hitzigen Debatte über Diesel-Abgase in deutschen Städten: Daten zur Luftbelastung mit Stickstoffdioxid (NO2), die mehr als 500 amtliche Messstellen quer durch die Republik jedes Jahr neu liefern. Jetzt liegen die ersten frischen Zahlen des Umweltbundesamts (UBA) für 2018 vor – und lassen noch einigen Spielraum für politische Diskussionen.

Wie hat sich die Luftverschmutzung entwickelt?

Es gibt einen Fortschritt: Bundesweit ist die Belastung im Mittel um zwei Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft gesunken. Das passt in den Trend: 2016 rissen noch 90 Städte den Grenzwert, 2017 waren es 65. Nun fehlen noch viele Zahlen, denn vorerst gibt es nur Ergebnisse von 399 automatischen Messstationen. Von 132 kommen sie wohl erst im Mai. Klar ist deswegen bereits: Mindestens 35 Städte lagen auch 2018 über dem Grenzwert. Und es wird nicht überall besser. Koblenz und Leipzig sind nun im roten Bereich. Zurück in den grünen schafften es Halle (Saale), Ludwigshafen, Regensburg und Solingen.

Gilt der Wert für die Luftqualität der gesamten Stadt?

Nein – es geht erstens immer nur um die Luft rund um die Messstellen, zweitens wird meist nur der höchste Jahresmittelwert betrachtet. Ein paar Straßen weiter kann es wieder anders aussehen. Für die Frage, ob geltendes Recht eingehalten wird, ist das aber unerheblich.

Die seit 2010 verbindliche EU-Regelung sieht vor, dass 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel an jeder Messstation einzuhalten sind. Sie gibt auch vor, wo gemessen werden muss. Nämlich nicht nur, aber auch in verkehrsreichen Gegenden, wo die Luftbelastung besonders groß ist.

Warum sind Grenzwert-Überschreitungen ein Problem?

Deutschland muss EU-Recht einhalten, wegen der Stickoxide gibt es ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren. Brüssel hat im Oktober bereits gegen Deutschland und andere Mitgliedsländer Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Einen Termin für eine Verhandlung gibt es noch nicht. Denkbar wäre, dass Berlin vom EU-Gericht zu Strafzahlungen verdonnert wird. Außerdem dienen die Grenzwerte dem Schutz der Gesundheit. Sie wurden von den EU-Staaten festgelegt und beruhen auf einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Gibt es um die
Grenzwerte Streit?

Eine Gruppe von rund 100 Lungenärzten hat ihren Sinn infrage gestellt. Es gibt aber breiten Widerspruch von Kollegen. Zuletzt legte das Helmholtz-Zentrum München ein Papier zu NO2, Feinstaub und Ozon vor. „Gesichert ist, dass sich dadurch die Lebenszeit verkürzt und Lungenerkrankungen sowie Herzkreislauferkrankungen ausgelöst werden“, heißt es da. Die Bundesregierung will die Nationale Akademie Leopoldina um Klärung bitten. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dringt ungeachtet dessen bei der EU-Kommission schon mal auf eine Überprüfung der Grenzwerte.

Gibt es jetzt noch
mehr Diesel-Fahrverbote?

Das ist denkbar. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat Gerichtsverfahren zu 35 Städten angestoßen. Fahrverbots-Urteile zu Berlin und Stuttgart sind rechtskräftig, anderswo laufen Berufungen, teils wurde noch nicht verhandelt. Bisher hat die DUH recht bekommen.

Aber Städte versuchen inzwischen, auf anderen Wegen gegenzusteuern. Klagen gegen Leipzig und Koblenz seien zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht in Vorbereitung.

Was wird getan, um die
NO2-Werte zu senken?

Über ein Programm „Saubere Luft“ können Städte, die den Grenzwert überschreiten, Fördergeld beantragen – etwa für Elektrobusse oder digitale Verkehrsführung für weniger Staus. Auch Leipzig und Koblenz können also wohl bald Geld aus dem milliardenschweren Sondertopf des Bundes beantragen. 3,75 Millionen ältere Diesel haben inzwischen neue Abgas-Software bekommen. Mit Prämien wollen die deutschen Hersteller Autobesitzer zum Kauf saubererer Neu- oder Gebrauchtwagen bewegen.

Wie sieht es mit den umstrittenen Hardware-Nachrüstungen aus?

Solche Nachrüstungen mit Katalysatoren könnten bald kommen, die rechtlichen Voraussetzungen hat der Bund geschaffen. Jetzt werden Nachrüst-Sets entwickelt und dann zugelassen. Allerdings haben bisher nur Daimler und VW zugesagt, Autobesitzern dafür bis zu 3000 Euro zu zahlen – Volkswagen gibt sich eher widerwillig. BMW ist nicht an Bord, von ausländischen Herstellern ganz zu schweigen. Ohne Nachrüstungen dauere „es einfach zu lange, bis wir überall saubere Luft haben“, mahnt UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Die Hardware-Aktivitäten des Bundes zielen indes nur auf „Intensivstädte“ mit mehr als 50 Mikrogramm NO2.

Wie sieht es in den „Intensivstädten“ aus?

Bisher hat die Bundesregierung 15 Städte bestimmt, die Extra-Hilfen für saubere Luft bekommen sollen. Bemerkenswert ist die Entwicklung in München, das 2017 noch unrühmlicher NO2-Spitzenreiter war. In acht der 15 Städte hat sich die Luft verbessert. In Kiel wurden aber vier Mikrogramm NO2 mehr gemessen. Neu über die Schwelle gelangte Dortmund.