Kampf um Wohnbauland am Rhein Alle wollen mehr Wohnungsbau – nur nicht vor der Haustür

Düsseldorf · Für die Bezirksregierung wird es ein heißer Sommer. Sie schlägt in der ganzen Region neue Wohngebiete vor. Weil der Bedarf riesig ist. Doch willkommen sind die Ideen der Planer selten.

Neue Viertel mit Geschosswohnungsbau wollen die Regionalplaner. Die Frage ist: Wo sollen die hin?

Foto: Wz/Jens Büttner

Seit dem 26. Juli liegen die Pläne für das Programm „Mehr Wohnbauland am Rhein“ der Bezirksregierung Düsseldorf offen, das 1500 Hektar an neuer Wohnfläche schaffen soll. Die Protestwelle in den Städten ist allerdings schon vorher angerollt. Die Planer hat sie kaum überrascht. Zwar spricht alle Welt über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum – aber neue Wohnhäuser direkt vor dem eigenen Küchenfenster will keiner. Dafür hat man bei der Bezirksregierung durchaus Verständnis. Nur, ist die Haltung dort, den riesigen Bedarf an neuen Wohnungen wird man in den kommenden 20 Jahren nur decken können, wenn man auch auf der grünen Wiese und verdichtet baut.

Großes Problem ist, dass die Bedarfsberechnung für neue Wohnungen aus einer Zeit vor zehn Jahren stammt, als man von einem anhaltenden Schrumpfen der Bevölkerung ausging. Als etwa in Düsseldorf Jahr für Jahr spekuliert wurde, ob die Stadt jemals wieder die 600 000-Einwohner-Marke knacken würde. Und plötzlich hatte sie nicht nur diese Latte gerissen, sie wuchs auch direkt noch auf über 640 000 Menschen an. Und wächst weiter.

Bis 2040 gibt es ein Loch von 40 000 Wohnungen in der Region

Steigende Geburtenzahlen und der Zuzug junger Leute in die Region sind angesichts des demografischen Wandels ja auch allseits erwünscht, sagt Christoph van Gemmeren. Aber dieser Nachwuchs muss eben auch wohnen. Der Planer der Bezirksregierung präsentiert die nackten Zahlen: 160 000 Wohnungen werden bis 2040 allein in der Region benötigt. Davon sind 90 000 bereits geplant oder im Bau, man geht optimistisch davon aus, dass weitere 30 000 Einheiten in den Innenstädten ohne Zutun der Regionalplaner hinzukommen. „Wir wollen uns den Vorwurf ersparen, wir hätten Flächenbedarfe künstlich hochgerechnet. Haben wir auch nicht“, sagt van Gemmeren. Aber auch bei wohlwollender Kalkulation bleiben immer noch 40 000 Wohnungen, die neu gebaut werden müssen. Und zwar außerhalb der Citys.

Die Verabschiedung des neuen Landesentwicklungsplans im Landtag kurz vor der Sommerpause hat dafür die Grundlage geschaffen: Eine Begrenzung des Flächenverbrauchs gibt es in NRW nicht mehr. Einen ungezügelten „Flächenfraß“ befürchtet die Opposition. Und somit einen weiteren Anheizer für den Klimawandel, wenn grüne Wiese Beton weicht. „Aus planerischer Sicht gibt es eine Lösung“, sagt van Gemmeren: „dichter und grüner bauen“. Sein Fazit mag manchen überraschen: „In unserer Region wird eigentlich nicht dicht genug gebaut.“

Planer: Um klimagerecht zu bauen, muss man dichter bauen

Schon der Bedarf mache mehr Geschosswohnungsbau notwendig: Die Bezirksregierung geht davon aus, dass die Zahl der Ein-Personen-Haushalte bis 2030 um 17 600 steigt, bis 2040 sogar um 42 200, die der Zwei-Personen-Haushalte um 27 900 beziehungsweise 31 400. Bei den Vier-Personen-Haushalten hingegen wird bis 2030 ein Plus von 4100 erwartet, bis 2040 von nur noch 1500. Der Regionalplaner gibt aber zudem zu bedenken: „Klimagerechtes Bauen ist nur in dichteren Stadtvierteln möglich.“ So lohne sich eine Versorgung mit Solarstrom und Erdwärme erst ab einer bestimmten Nutzermasse, Gleiches gelte für die Anbindung an den ÖPNV.

Bevölkerungsentwicklung in der Region Düsseldorf

Foto: kxlm.de/Grafik

Im Kopf hat van Gemmeren da zum Beispiel eine mehr als 60 Hektar große Grünfläche im ländlichen Knittkuhl – zwar ein Düsseldorfer Stadtteil, aber ohne Nahversorgung, ohne ÖPNV-Verbindung in die City. Das Gelände der Bergischen Kaserne gleich nebenan soll ohnehin bebaut werden, füllte die jetzt in die Pläne aufgenommene Fläche zusätzlich eine Lücke mit 2500 bis 3000 Wohneinheiten, könnte der Gedanke einer Straßen- oder Seilbahn interessant werden, glaubt der Planer.

Auch bei der Bezirksregierung verschleiert man indes den Wert von freier Fläche, von Naherholungsgebieten oder landwirtschaftlichen Gebieten nicht – wobei etwa Wald komplett tabu ist und unangetastet bleibt. Im Steckbrief des Knittkuhler Gebiets steht unumwunden, die Umweltauswirkungen der Bebauung würden „als erheblich eingeschätzt“. Das gilt auch für ein vorgeschlagenes neues Wohnquartier am Asbruch in Wuppertal, wo Bezirkspolitiker und Bürgerinitiativen fürchten, das Grün verschwinde nach und nach vollständig. Der Wuppertaler Landtagsabgeordnete Dietmar Bell (SPD) sagte dieser Zeitung, er halte einen kommunalpolitischen Beschluss für eine Bebauung dort für „ausgeschlossen“.

Das letzte Wort über die Flächen hat immer die Kommune

Das allerdings gilt laut van Gemmeren für viele der jetzt vorgeschlagenen Flächen. In Meerbusch etwa hätten die Planer fast ausschließlich potenzielle Wohngebiete eingezeichnet, die kommunalpolitisch wahrscheinlich nicht gewollt sind. Andererseits hätte die Nachbarstadt von Düsseldorf gern einen höheren Takt der Straßenbahn in die Landeshauptstadt – der durch neue Viertel realisierbar würde. Van Gemmeren sagt, es wäre hilfreich, wenn Stadtratsbeschlüsse von vor zehn Jahren nicht stur weiterbestünden, „wenn der Bedarf sich so radikal ändert“.

Die Proteste von Anwohnern sind noch das kleinste Problem der Regionalplaner. Ein Recht auf freie Sicht aus dem Küchenfenster oder das Hundespazierfeld nebenan gibt es eben nicht. Scheitern könnten die hehren Pläne zur Lösung des Wohnproblems an Eigentumsverhältnissen. Zwar kann die Gemeinde im Ernstfall durchgreifen und den Besitzer – in aller Regel Landwirte – zum Verkauf verpflichten; in der Praxis allerdings hat dies den unschönen Ruch von Enteignung. Es gebe aber durchaus eine Menge Bauern, die zum Verkauf durchaus bereit seien. Und dann bleibe oft diese zweite große Unwägbarkeit: der lokalpolitische Wille. Denn: „Die kommunale Planungshoheit ist unantastbar“, stellt van Gemmeren klar.

Man hofft an der Düsseldorfer Cecilienallee, dem Sitz der Regionalplanungsbehörde, sehr auf die Einsicht vor Ort. Deshalb wurden die Flächen, die bei „Mehr Wohnbauland am Rhein“ einbezogen wurden, ganz neutral nach einem nachvollziehbaren Punktesystem bewertet und in ein Ranking einsortiert. In der interaktiven Karte der Bezirksregierung ist auch ersichtlich, ob eine Fläche für den lokalen Bedarf der Gemeinde oder für den regionalen Bedarf vorgesehen ist.

Die drei „Sorgenkinder“ der Region, die ihren Wohnraumbedarf nicht selbst decken können, sind Düsseldorf, Wuppertal und Solingen – für sie braucht es Pendlerflächen anderswo. Aber nicht irgendwo. „Wir hätten massig Flächen im Kreis Kleve bekommen können“, sagt van Gemmeren. Aber gegen den Druck in den Ballungszentren helfe das nur wenig.

Städte wie Düsseldorf stehen nunmehr vor der Wahl, das schöne Feld in Knittkuhl, eine Freifläche in Kalkum oder einen Acker in Hamm zu bebauen, wie die Regionalplaner vorgeben – oder zahlreiche Hochhäuser in der Innenstadt hochzuziehen, um dem Flächenbedarf zu begegnen. Außerhalb der Großstädte sind vor allem potenzielle Quartiere an bestehender ÖPNV-Infrastruktur attraktiv für die Planer. Hier unterstützt das Landesprogramm „Bauland an der Schiene“, mit dem das Bauministerium sich an den Planungskosten beteiligt und bereits vorsorglich Kapazitäten bei Planungsbüros eingekauft hat.

Land bezahlt Planer und fördert den Mut zum Bebauungsplan

In Korschenbroich etwa, direkt an der S-Bahnlinie S8 Richtung Mönchengladbach oder Düsseldorf und Wuppertal, sollen neue Wohnungen auf mehr als 20 Hektar entstehen. Das Land unterstützt jetzt schon einmal die Rahmenplanung, produziert Bilder für die Lokalpolitik – bei der Bezirksregierung hofft man, dass dort dann auch der Mut zum Bebauungsplan größer sein wird.

Bis September sind die Pläne für „Mehr Wohnbauland am Rhein“ jetzt in den Städten offengelegt. Danach wird ausgewertet. Zwei Extremszenarien gibt es: Der Regionalrat nimmt gegen alle Widerstände jede einzelne Fläche in den neuen Regionalplan auf oder er nimmt jede strittige Fläche komplett heraus. Irgendwo zwischen diesen Polen muss es zu einem sinnvollen Kompromiss kommen. Für den wird die eine Gemeinde oder der andere Anwohner eine Kröte schlucken müssen – das steht schon jetzt fest. Zur Beruhigung sei gesagt: Nicht jeder der 1500 Hektar, die jetzt in den Regionalplan sollen, muss auch zwingend bebaut werden. Allerdings glaubt Christoph van Gemmeren: „Der Wohnungsdruck wird irgendwann so groß werden, dass wir genau da landen.“