Katharina Hacker im Heine-Haus Katharina Hacker stellte ihr Buch „Die Gäste“ vor

Autorin Katharina Hacker hat sieben Jahre an ihrem neuen Buch geschrieben. „Die Gäste“ heißt das Werk, und im Düsseldorfer Heine-Haus gab sie daraus eine Kostprobe.

Katharina Hacker trat im Düsseldorfer Heine-Haus auf.

Foto: picture-alliance/ dpa/Erwin Elsner

Der Hund Pollux hat sie erschnüffelt, die Ratten. Er zwingt seine Herrin Friederike geradezu, die Bodenklappe ihres Cafés zu öffnen. Schon erblickt die 50-Jährige ein Heer der Nagetiere. Die wiederum fühlen sich gestört durch die menschliche Neugier, sind sie doch gerade dabei, einen der ihren zum Schafott zu führen: „Da standen sie schon, den Blick nach oben auf mich gerichtet, dicht an dicht. Graue Ratten, größer als alle, die ich auf der Straße gesehen hatte. Sie gingen aufrecht. Der Anführer schaute zu mir und lüpfte, mit einem blöden Lächeln, seinen Hut.“ Schnell die Klappe wieder zu und nicht weiter nachdenken über die irreale Kellerwelt.

Die Szene, die Katharina Hacker bei ihrem Besuch im Heine-Haus als Einstieg gelesen hat, stammt aus dem Roman „Die Gäste“. Darin erbt eine Berliner Sprachforscherin von der Großmutter ein Café. Sie kündigt ihre Stelle beim Institut für schwindende Idiome und macht sich daran, die neue Tätigkeit als Gastronomin mit Herzblut auszufüllen. Ausgerechnet in Zeiten der Pandemie. Wo sogar die Ratten einen Mundschutz tragen. Unverdrossen übersteht Friederike die Kontrolle der Gesundheitsämter, die Anschläge von Heckenschützen, sogar den schwarzen Regen.

Wie spricht man über einen Roman, der eher eine Sammlung kleiner feiner Episoden ist? 267 Kurz­kapitel auf 255 Seiten, da kann doch etwas nicht stimmen. Im Heine-Haus setzte sich „FAZ“-Redakteur Andreas Platthaus neben die Autorin. Er erwies sich als der kompetente Gesprächspartner, den Hackers kurioses Werk braucht.

Zunächst einmal: Das Café gibt es wirklich, in einer Seitenstraße der Potsdamer Straße. Die Ratten sind natürlich Fantasie und nur eine der vielen Episoden, die durch die Gedankenwelt und das Café der verträumten Friederike irrlichtern. Bei den titelgebenden Wesen handelt es sich um skurrile aber harmlose Gestalten.

Wenn die Wirtin diese Gäste nicht bedient, schleicht sie zu einer verwahrlosten Remise im Hof. Dort tummeln sich Hase, Fuchs, Rabe oder Wildschwein, Katze und Igel. Ein ewiger Reigen von Menschen, Tieren und Ereignissen, der vor dem Auge der Leser umherspaziert.

Platthaus ging der Episodenvielfalt auf den Grund. Ebenso wie der Mischung aus realer Dystopie und märchenhafter Fiktion. Vor allem aber einer Schreibweise, die der Auslassung huldigt. Hacker bekannte im Gespräch, dass sie es nicht so hat mit der langen, stringent geführten Erzählhandlung. Sie zweifelt am Wert der textlichen Kohärenz: „Ich mag Bücher, wo man nicht sofort alles versteht.“ Und die vielen Personen im Buch, woher bekommt sie hierfür die Vorbilder, wurde sie gefragt. Das habe doch schon Marcel Proust gewusst: In einer literarischen Figur stecken immer 100 wirkliche Menschen.

Und natürlich viel Detailarbeit: ganze sieben Jahre habe sie an „Die Gäste“ gearbeitet. Und nebenbei „nur“ ein einziges Jugendbuch geschrieben.

Für den Abschluss des Gesprächs im Heine-Haus aber hatten die Autorin und der Journalist aus aktuellem Anlass als Kontrapunkt Texte einer russischen Lyrikerin gewählt: Jelena Schwarz, 1948 im damaligen Leningrad geboren und vor zwölf Jahren verstorben.

Eines der wenigen bisher auf Deutsch erschienenen Werke „Das Blumentier“ wurde von dem Düsseldorfer Alexander Nitzberg übersetzt und erschien im hiesigen Grupello-
Verlag.