Burscheider in Vietnam: Ein Härtetest für die Sinne
Die Burscheider Globetrotter Ralf Seck und Susanne Hartmann berichten aus Vietnam.
Hué/Vietnam. Wir sind unterwegs in der Halong-Bucht, einem 1 500 Quadratkilometer großen Seegebiet im Norden Vietnams. 1 969 Kalkfelsen — die Zahl steht unumstößlich fest, 1969 war das Todesjahr des von der Propagandaabteilung hoch geschätzten Ho Chi Minhs — ragen hunderte Meter hoch aus dem Wasser. 1994 erklärte die Unesco die Bucht zum Weltnaturerbe.
Wir sitzen also auf unserer hölzernen Dschunke und bestaunen das Naturparadies, welches es in die Auswahl zu den „Sieben neuen Weltwundern“ geschafft hat. Doch ebenso spektakulär wie die Inseln, die schwimmenden Märkte oder die bunt illuminierten Höhlenlandschaften, sind die Rangiermanöver, die sich die Kapitäne untereinander liefern. In der Nähe der Ankerplätze ereignen sich mehrere Beinahe-Havarien und die aufgeregten Schreie einiger Seeleute bestätigen unser „Landratten-Urteil“, dass Chaos herrscht. Unsere Dschuke bleibt von „Fremdkontakten“ verschont und bringt uns gesund an Land.
„Die verheerendsten Überschwemmungen seit zehn Jahren haben große Landstriche in Zentral- und Südvietnam lahmgelegt. Tausende von Menschen mussten ihre Häuser verlassen, die Versorgungslage ist prekär und der Reiseverkehr ist eingeschränkt.“ Die aktuellen Nachrichten sind besorgniserregend, dennoch müssen wir in die vom Monsunregen gebeutelte Region reisen.
Wir haben uns für den Zug entschieden, 13 Stunden Fahrt für 690 Kilometer in einer winzigen Schlafkabine. Der Zug verlässt den Bahnhof in Hanoi und rattert auf seinen Schmalspurgleisen gemächlich voran.
Morgens um halb sieben aber hält der Zug an und fährt nicht mehr weiter. Gerüchte kommen auf, die Gleise wären überflutet und der unplanmässige Aufenthalt könnte drei Tage dauern. Wir wollen uns von der Lage ein Bild machen, doch die Türen der Abteile sind mit Vorhängeschlössern verriegelt. Warten ist angesagt, ratloser Gleichmut herrscht bei Vietnamesen und Touristen.
Als hochrangige Bahnbedienstete mit wichtiger Miene den Zug durcheilen ist es bereits Mittag. Auf dem Nachbargleis hält ein Zug, dessen Passagiere Minuten später unsere Abteile zusätzlich bevölkern. Immerhin sind die Türen geöffnet.
Um drei Uhr erschüttert ein Ruckeln die Waggons und der Zug nimmt tatsächlich Fahrt auf — endlich. Langsam verbreitet sich die Nachricht, dass der unliebsame Aufenthalt mit den starken Regenfällen gar nichts zu tun hatte. Der Grund für die Verzögerung war eine defekte Zugmaschine. Mit elf Stunden Verspätung erreichen wir unseren Zielort Hué.
Ein Spaziergang über einen der bunten Märkte ist eine Herausforderung für Auge und Nase. Es wird eine Vielzahl an exotischen Spezialitäten dargeboten. Neben leckeren Früchten wie Lychees, Rambutan, Durian, Drachen- und Sternfrucht, entdecken wir auch die Fleischergasse. Hier, wo die Kühlkette nachweislich dauerhaft unterbrochen ist, werden uns Maden, Rinderschädel und Schweinehälften angeboten. Die attraktivste Warenpräsentation hat sich jedoch die Hühnerhändlerin ausgedacht, die die noch vorhandenen Krallen verkaufsfördernd in die Höhe gestreckt hat.
Auf dem Heimweg wundern wir uns über das merkwürdige Piktogramm eines Fußgängerüberweg-Schildes. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es sich um ausgeschnittene Klebefolie handelt. Der Clou ist jedoch, dass jedes dieser Schilder anders aussieht. Es sind tatsächlich lauter Unikate, die dort in Kopfstoßhöhe aufgestellt worden sind.
Gewöhnungsbedürftig ist auch die frühmorgens über Lautsprecher gesendeten Propagandaansprachen und die auf den Bürgersteigen aufgestellten „Feuertöpfe“, in denen etwa Spielgeld verbrannt wird, um bei den Göttern Wohlstand zu erbitten.
Durchaus sympathisch ist der Brauch der Händler, den Kunden Bonbons zu schenken, wenn kein passendes Wechselgeld vorhanden ist. Nur zum näheren Verständnis: Das fehlende Wechselgeld sind keine Kupfermünzen, sondern 500-Dong-Scheine. Was aber beim jetzigen Wechselkurs nur knapp zwei Cent ausmacht.