Der Dirigent kommt an
Anderthalb Jahre nach dem Wechsel von Johannes Stert zu Timor Chadik wissen das Orchester und sein musikalischer Leiter, was sie aneinander haben.
Ulm. Die Szene für sinfonische Blasmusik, man muss das so sagen, ist eine provinzielle. Wer die Liste der zehn für den Deutschen Orchesterwettbewerb nominierten Wettbewerbsteilnehmer durchgeht, stößt abgesehen von Berlin allenfalls noch mit Regensburg auf eine Stadt von nennenswerter Bekanntheit. Der Rest ist Wangen, Blaustein, Bad Griesbach, Altenmittlau, Seelze, Thum, Norderstedt und eben - Hilgen.
Gerade das aber, was man klischeehaft mit Blasmusik aus der Provinz verbinden könnte, hat der Orchesterverein Hilgen seit Jahren gemieden. In dem Vierteljahrhundert unter der musikalischen Leitung von Johannes Stert ging es immer wieder darum, klanglich zu neuen Ufern aufzubrechen, Literatur jenseits des (auch sinfonischen) Bläser-Mainstreams zu finden. Der Abschied von Stert war eine tiefe Zäsur. Aber anderthalb Jahre später ist klar: Seine Ausrichtung hat der OVH damit nicht aufgegeben.
Stert und Chadik sind ganz unterschiedliche Typen. Anders wäre ein Wechsel vermutlich auch nicht gutgegangen. Stert war spürbar der Visionär, gedanklich immer mit dem großen Ganzen beschäftigt. Chadik arbeitet nach allem, was man aus dem Orchester hört, kleinteiliger, detaillierter. Dass ihm dabei nicht die Emotionalität verloren geht, die für den OVH geradezu existenziell wichtig ist, hat sich in Ulm gezeigt.
Gezeigt hat sich mittlerweile auch, dass das Orchester nicht alter Vertrautheit hinterher trauert, sondern Chadiks Arbeitsweise bis zu den musikalischen Leistungsträgern hinauf akzeptiert und anerkennt. Viele sehen in seiner Art des Probens eine neue und bereichernde Erfahrung. Chadik versteht es offenbar, ruhig und freundlich aufzutreten, auch für gute Stimmung zu sorgen, ohne es dabei an Klarheit missen zu lassen.
Inzwischen scheint aber nicht nur das Orchester gewiss zu sein, sich für den Richtigen entschieden zu haben. Bisweilen war bei den Musikern eine zumindest leichte Unsicherheit zu spüren, ob das denn auch umgekehrt gilt, weil sich der neue Dirigent bei aller Freundlichkeit vielleicht emotional nicht so sehr in die Karten blicken ließ, wie es dem Bedürfnis des OVH entspricht.
Aber diese Unsicherheit ist nach dem gemeinsamen Probenwochenende in Oberwesel im Vorfeld des Wettbewerbs anscheinend ausgeräumt. Timor Chadik und der Orchesterverein haben sich gefunden. Ulm könnte der erste Meilenstein einer langen Beziehung werden.