Die Politik-Veteranen Müller und Ringelberg im Interview: „Wir wollten weg von dem Gepolter“

Dieter Müller (SPD) und Gustav Ringelberg (CDU) über alte Gräben und neue Einigkeit.

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Burscheid. Sie zählen zu den Veteranen der Burscheider Ratsarbeit und treten beide zur Kommunalwahl im Mai nicht mehr an. Dieter Müller (68, SPD) und Gustav Ringelberg (77, CDU) kommen zusammen auf rund 70 Jahre Ratszugehörigkeit. Ein Gespräch über die Wandlung der Kommunalpolitik.

Symbolbild

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Herr Müller, Herr Ringelberg, können Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke vom Burscheider Rat erinnern?

Dieter Müller: Auf der Fahrt zur ersten Ratssitzung ist mir ein Reh ins Auto gelaufen. Dann habe ich den damaligen Förster Herbert Schmitz informiert, dass jetzt hier ein Reh rumläuft, das eine Beule hat. Es ist später auch gefunden worden. Und ich habe gedacht, dass ich zu spät zur ersten Ratssitzung komme. Aber es ist noch gut gegangen.

Gustav Ringelberg: Bei der CDU waren noch die ganzen alten Herrschaften aktiv. Ich war der junge Rebell damals. Die hatten das Sagen. Nur wenn es ums Plakatieren ging, wurde ich plötzlich gebraucht.

Was waren die Themen der damaligen Zeit?

Müller: Das Wellenbad war bei meinem Einstieg ein großes Thema. Stadtdirektor Horst Weber war der Befürworter und die Planung war schon verhältnismäßig weit fortgeschritten. Doch bei der Bürgeranhörung waren die Skeptiker in der Überzahl und das Projekt ist gestorben. Damit waren 1,2 Millionen Mark Planungskosten in den Sand gesetzt.

Ringelberg: Ich erinnere mich, dass in Dünweg noch grüne Wiese war, als ich im Rat anfing. Dann ging es um den Bebauungsplan und die Umlegung. Das Gleiche noch einmal in Müllersbaum. Ich war im Umlegungsausschuss tätig. Da sollte mancher verrostete Zaun plötzlich viel Geld wert sein. Dieses ganze Verfahren hat sich zwei, drei Jahre hingezogen. Das war meine Lehrzeit.

CDU und SPD haben sich lange nichts gegönnt. Heute gibt es durch die Blume sogar eine Art SPD-Wahlempfehlung für einen CDU-Bürgermeister. Was ist passiert?

Ringelberg: Früher wurde mehr auf Parteipolitik geguckt. Es gab gravierende Unterschiede bei den Überlegungen, wie Burscheid gestaltet werden soll. Denken Sie nur an die Umgehungsstraße B 232: Wir waren strikt dagegen, sie so nah am Stadtkern vorbeizuführen, SPD und FDP waren strikt dafür.

Müller: Das Verhältnis zwischen Gustav Ringelberg und unserem Fraktionsvorsitzenden Ulrich Schwerdtfeger war sehr gespannt. Wenn der eine was sagte, gab der andere automatisch Kontra. Mit der Ära Wolfgang Brost fing es an, dass wir weg wollten von dem Gepolter. Wenn ein anderer eine gute Idee hat, warum sollen wir sie dann nicht unterstützen? Früher war es doch so, dass wir eine Idee der CDU grundsätzlich erst mal torpediert haben. Und umgekehrt genauso.

Ringelberg: Manchmal verlief das auch unter der Gürtellinie.

Ist der Rat einflussloser geworden?

Ringelberg: In Fragen der Stadtentwicklung nicht, aber wir sind eingeengt. Wir können nicht mehr so wie früher.

Müller: Früher haben wir noch inhaltlich im Haushaltsentwurf rumgewühlt. Heute ist das doch nur noch möglich, wenn wir auch darstellen können, wie man Änderungen finanzieren will.

Allgemein wird über die Entfremdung zwischen Bürgern und Politik geklagt. Macht sich das auch in Burscheid bemerkbar, beispielsweise beim Thema Fritz-Halbach-Straße?

Ringelberg: Auf jeden Fall gibt es weniger Interesse an den politischen Institutionen.

Müller: Den Vortrag der Initiatoren des Bürgerbegehrens im Rat fand ich sehr gut. Aber die haben sich seit dem Beginn der Auseinandersetzung inhaltlich ja auch um 180 Grad gedreht. Zuerst ging es gar nicht um die geschichtliche Bewertung, sondern um die Zusatzbelastungen für die Anwohner. Doch wir können das Gutachten nicht wegdiskutieren. Halbach bleibt ein Nazi der übelsten Sorte. Daher werden wir von unserem Standpunkt nicht abrücken.

Was waren für Sie persönlich im Rückblick die Höhepunkte Ihrer Ratstätigkeit?

Müller: Für mich der Moment, als ich völlig unbedarft zum Vorsitzenden im Planungsausschuss wurde. Manfred Müller war abgetreten und ich habe bis zum Ende der Wahlperiode noch drei Jahre den Vorsitz übernommen. Bis dahin hatte ich mich für das Thema nie so richtig interessiert. Und plötzlich sagt Schwerdtfeger zu mir: Du übernimmst das jetzt. Das waren für mich ganz interessante und lehrreiche Jahre.

Ringelberg: Ich muss immer wieder an den Ausbau der Stadtbücherei denken. Der Plan hatte schon überall eine Mehrheit gefunden und sah vor, dass die Böschung der Pastor-Löh-Straße abgehobelt werden sollte, um mehr Platz zu schaffen. Ich habe nur gedacht, das ist doch Blödsinn, und musste erst mal meine eigene Fraktion überzeugen. Dann sind wir mit unseren Vorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen und Stadtdirektor Weber hat gesagt, gut, dann machen wir das halt so. Da habe ich zum ersten Mal gespürt: Du kannst noch alles umkehren, wenn du willst.

Waren Sie auch mal an dem Punkt, alles hinschmeißen zu wollen?

Müller (lacht): So schlimm war das nie. Früher mit den alten Recken haben wir ja nach den Sitzungen noch Stunden in der Kneipe weiterdiskutiert, quer durch alle Fraktionen. Dann war es auch gut.

Ringelberg: Das haben wir jetzt nicht mehr - und das fehlt.

Müller: Das Einzige, was mich sehr verärgert und mir auch einige schlaflose Nächte bereitet hat, war die Nachfolgeregelung für Horst Albrecht an der Spitze der Stadtwerke. Wir hatten schon einen ausgeguckt, aber der hätte fast das Doppelte bekommen wie sein Vorgänger. Dann haben wir die Sache noch gekippt.

Sie haben beide 1998 den Wechsel von der kommunalen Doppelspitze aus ehrenamtlichem Bürgermeister und hauptamtlichen Stadtdirektor hin zum hauptamtlichen Bürgermeister in Doppelfunktion mitgemacht. War das rückblickend eine richtige oder falsche Entscheidung?

Müller: Eine falsche Entscheidung. Ich würde sie sofort wieder rückgängig machen.

Ringelberg: Ich weiß nicht, Dieter. Der ehrenamtliche Bürgermeister läuft immer so nebenher und darf im Rat vorne sitzen. Das war’s. Aber wenn dieses Modell des Hauptamts, dann muss der Bürgermeister ein Verwaltungsfachmann sein.

Müller: Aber der Bürgermeister hatte früher genug Zeit, sich um Ehrungen, Geburtstage und diese Dinge zu kümmern. Guck dir doch heute den armen Caplan an. Der hat diese ganzen Termine und muss sich dazu noch um die Verwaltung kümmern, wobei er das hervorragend macht.

Was geben Sie Ihren Parteien mit auf den Weg für einen Wahlkampf in Zeiten einer konsensorientierten Kommunalpolitik?

Müller: Schwierige Frage. Wenn ich die Wahlprogramme nebeneinanderlege: überall die gleichen Schwerpunkte, zumindest innerstädtisch. Auch finanzpolitisch sind wir einer Meinung. Ringelberg: Das Elend ist, dass es keine freiwilligen Ausgaben mehr gibt. Mein Rat: bei Anträgen erst mal gut nachdenken, ob es machbar ist.