Kunst „Antikoloniale Eingriffe“ im Museum
Köln · Das Kölner Museum Ludwig gehört zu den größten und bekanntesten Museen für moderne Kunst. Die Basis bildete bei der Eröffnung die umfangreiche Sammlung des Unternehmerehepaares Irene und Peter Ludwig.
Es war eine Sammlung, die wie später das gesamte Haus komplett aus der europäischen Perspektive angelegt und geordnet war. Die Sicht des globalen Südens spielte dagegen über viele Jahrzehnte nur eine zu vernachlässigende Rolle.
Beim achten Projekt der Ausstellungsreihe „Hier und Jetzt“, die sich auch immer mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzt, haben jetzt vier Künstler aus Lateinamerika zusammen mit Kuratorin Joanne Rodriguez einen „antikolonialen Streifzug“ durch das berühmte Museum unternommen und schauten dabei mit einem kritisch-neugierigen Blick auf künstlerische Positionen aus Lateinamerika.
Eingriffe und Kunstwerke
sind im ganzen Haus verteilt
Dabei haben sich Daniela Ortiz aus Peru, Paula Baeza Pailamilla aus Chile, Pável Aguilar aus Honduras und Paloma Ayala aus Mexiko mit verschiedenen Fragen auseinandergesetzt: Welche lateinamerikanischen Künstler finden sich in der Sammlung? Wie reproduzieren europäische Künstler der Klassischen Moderne den exotisierenden Blick auf den globalen Süden? Und welche Werke gilt es als kritisch zu hinterfragen, welche bieten Gegenmodelle an?
Die vier Künstler präsentieren ihre extra für die Schau geschaffenen Arbeiten in einem eigenen Bereich im Museum, gehen mit ihren Werken aber auch in die ständige Sammlung und stellen ihre künstlerische Position so anderen Künstlern gegenüber.
Bei Daniela Ortiz ist das zum Beispiel bei „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Eluard und dem Künstler“ der Fall, das von Max Ernst im Jahr 1924 geschaffen wurde. In ihren eigenen, der christlichen Ikonografie nachempfundenen Werken sowie in Dokumenten stellt die Peruanerin diesem Gemälde drei Fälle von toten, minderjährigen Geflüchteten gegenüber.
Darunter ist auch der des neunjährigen Jesùs Ànder, der im spanischen Pamplona zu Tode kam – offiziell durch einen Selbstmord. Seine Organe wurden ohne Zustimmung der Eltern freigegeben. Der Vater und die Mutter wurden nach Kolumbien abgeschoben. Mit dieser Gegenüberstellung eröffnet Ortiz einen neuen antirassistischen und antikolonialen Diskurs.
Der Soundkünstler Pável Aguilar interveniert mit seinen Klangskulpturen und Installationen innerhalb der ständigen Sammlung des Ludwig und blickt dabei auf Künstler wie Andy Warhol oder Sammler wie Josef Haubrich. In Aguilars Arbeiten, die über das ganze Haus verteilt sind, setzt sich der Künstler so auch mit dem exotisierenden Blick expressionistischer Künstler direkt auseinander.
Dazu kommen seine antikolonialen Akkordeonbälge, die Inschriften mit Begriffen tragen, die für antikoloniale Eingriffe wichtig sind. Das Akkordeon hat er ausgewählt, weil es in Lateinamerika sehr populär ist. Es hat seinen Ursprung in Deutschland und wurde von Migranten in die lateinamerikanischen Länder gebracht. In der Ausstellung stellt Aguilar die musikalischen Eigenschaften des Akkordeons seiner Geschichte gegenüber.
Paula Baeza Pailamilla ist Mapuche-Künstlerin und beschäftigt sich mit den kulturellen Praktiken ihrer indigenen Vorfahren. In der Ausstellung präsentiert sie eine dreiteilige Videoinstallation, die sich der Bildsprache der Werbung für Schokolade auseinandersetzt, die auch heute noch ihren exotisierenden Blick auf die Menschen in den Herstellerländern wirft, wo auch jetzt noch Kakao mithilfe von Kinderarbeit geerntet wird.
Der besondere Bezug zum Museum Ludwig entsteht dadurch, dass Peter Ludwig in Aachen Schokoladenfabrikant war und dass das Geld für seine Sammlung aus den Erlösen aus der multinationalen Produktion und dem Vertrieb von Schokolade stammt.
Die Künstlerin Paloma Ayala wird für die Besucher Tonfiguren zum Anfassen herstellen, die in einem Workshopraum fortlaufend erweitert und verändert werden. Die Tonfiguren haben einen Bezug zu Details aus Werken der Sammlung oder aus vergangenen Sonderausstellungen im Ludwig.
Ein Glossar sowie QR-Codes, die an unterschiedlichen Werken angebracht worden sind, geben zudem Hinweise auf lange diskriminatorische Geschichte der Institution Museum selbst. Gleichzeitig weisen die aufgeworfenen Fragen in die Zukunft: Wie können wir antikolonial agieren, wenn wir in kolonialen Strukturen operieren? Kann ein Museum mit vorwiegend weißen Mitarbeitern antikolonial sein?
Sich anderen Perspektiven zu öffnen, kann nach der Ansicht der Ausstellungsmacher auch bedeuten, indigenen Wissensformen Raum zu geben – etwa, um nachhaltige Formen des Lebens und Wirtschaftens im Einklang mit der Natur zu entdecken.
Service: Hier und Jetzt: Antikoloniale Eingriffe, 8. Oktober bis 5. Februar, Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz; Eintritt: 11, ermäßigt 7,50 Euro; Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr.