Leverkusen Deponie Dhünnaue: Riskante Bauarbeiten im Giftgrab
Der Neubau der Leverkusener Brücke an der A1 erfordert laut Plan eine Öffnung der alten Giftmülldeponie Dhünnaue. Kritiker fürchten die Risiken, die das Vorhaben birgt.
Leverkusen. Die Leverkusener Brücke, die jetzige sowie ihr geplanter Neubau, steht unter keinem guten Stern. Nach langen Diskussionen über den katastrophalen Zustand der alten, mehren sich nun die Proteste dagegen, dass die Zufahrt der neuen Brücke auch durch die Giftmülldeponie Dhünnaue gebaut werden soll. Und dafür muss der alte Schandfleck am Rheinufer wieder geöffnet werden.
„Grundsätzlich ist die Öffnung einer Giftmülldeponie immer die schlechteste und gefährlichste Option. Und wir reden hier quasi von der Champions League der Giftmülldeponien. So hohe Konzentrationen wie in der Dhünnaue gibt es selten“, sagt Helmut Meuser, Professor für Bodensanierung an der Universität Osnabrück.
Der Landesbetrieb Straßen NRW weiß um die Mischung, die dort im Stadtteil Wiesdorf am Rheinufer unter dem Boden liegt. Die Behörde spricht aber von einem kalkulierbaren Risiko. „Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass wir einen Mann mit einem Spaten in der Hand auf die Dhünnaue schicken und ihn loslegen lassen“, so Sprecher Bernd Löchter. Die nötigen Maßnahmen wie Schutzkleidung, Reifenwaschanlagen für die Baustellenfahrzeuge, Überdachungen oder Bodenluftabsaugungen würden alle getroffen werden. „Unsere Bohrungen haben ergeben, dass sich dort nichts befindet, von dem wir nichts wissen.“
„Wenn alle diese Standards eingehalten werden, dann kann das funktionieren“, so Meuser. „Bei den Probebohrungen sind aber noch lange nicht alle Stellen untersucht worden, an denen später für den Bau gebohrt wird. Und da können sich regelrechte Konzentrationsnester eines Giftstoffes befinden. Das ist nicht kalkulierbar.“
Jahrzehnte lang hatten die Bayer AG und die Stadt Leverkusen die Deponie genutzt und ihren Müll dort abgeladen. Das begann bereits in den 1920er Jahren und dauerte bis in die 1960er Jahre. Bauschutt, Bodenaushub, Schlacken und Aschen liegen nun dort, aber auch zu 15 Prozent — das behauptet die Bayer-Tochter Currenta — sollen dort Rückstände aus der chemischen Produktion lagern. Etwa PCB, Dioxine und Schwermetalle, allesamt krebserregend.
In der Präsentation zum Themenkomplex „Emissionsschutzmaßnahmen Entsorgung“ von Straßen NRW ist die Zusammensetzung der Giftmülldeponie im Querschnitt veranschaulicht (siehe Grafik). Die meisten Schichten seien demnach gering belastet, die untere Schicht des Abfalls — um einiges größer als die obere, gering belastete — wird als „höher belastet“ eingestuft. Der Aushub bestünde aber nur zu acht Prozent aus diesem rot markierten Teil des Abfalls. Das sollen in der Summe 17 708 Kubikmeter höher belasteten Bodens sein. Der soll dann sicher transportiert und entweder an anderer Stelle deponiert oder verbrannt werden.
Kritikern zufolge könnten die unter der Erde schlummernden organischen Schadstoffe wie Mineralölkohlenwasserstoffe oder Phenole bei einer Öffnung giftige Gaswolken erzeugen, die nicht nur die Arbeiter, sondern beim Entweichen auch die Bevölkerung bedrohen könnten. Das sollen die Einhausung mit Leichtbauhallen oder Zelten über den Baustellen verhindern.
Die Organisation „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ hätte eine Tunnellösung beim Neubau favorisiert. „Wir beschäftigen uns seit langer Zeit mit der Giftmülldeponie. Die Versiegelung ist quasi gerade erst abgeschlossen, jetzt soll sie wieder geöffnet werden. Das bedauern wir“, sagt Vorstandsmitglied Jan Pehrke.
Mit der Leverkusener Brücke 1965 wurde auf dem angrenzenden Gelände eine Wohnsiedlung, die der Dhünnaue ihren Namen gab, gebaut. Mitsamt Schule und ein Altenheim. In den frühen 1990er Jahren musste die Siedlung komplett abgerissen werden. Denn bei den Anwohnern mehrten sich die Fälle von Lungen- und Krebserkrankungen in dramatischem Maße. Der ehemalige Lehrer Bernward Pinz erzählt in einem Bericht des WDR von 21 Menschen aus seiner Schule, die innerhalb von kurzer Zeit an Krebs erkrankten. Schüler, Lehrer, Hauspersonal, und er selbst. Nach Abriss der Siedlung wurde die Deponie mit Dichtungssystem und Rekultivierungsböden versiegelt.
Jetzt wird das Giftgrab wieder geöffnet. Der Fachbereich Umwelt der Stadt Leverkusen hatte in seiner Stellungnahme zum Planfeststellungsverfahren einige Vorgehensweisen in der raschen Planung des Neubaus bemängelt. So sei dem Fachbereich die jeweilige Dokumentation der Testbohrungen von Straßen NRW nicht in den vereinbarten folgenden sechs Wochen vorgelegt worden, sondern erst viel später. Auch der Abschlussbericht traf erst drei Wochen nach Einreichung der Planfeststellungsunterlagen ein. „Zu den Ergebnissen der Baugrunduntersuchungen im Bereich der Altlast Dhünnaue besteht daher noch Abstimmungsbedarf“, heißt es in dem Dokument aus dem Januar dieses Jahres. Ob diesem Abstimmungsbedarf bis heute nachgekommen wurde, kann die Stadt Leverkusen derzeit nicht beantworten.
Die Genehmigung des Bauvorhabens ist noch nicht erfolgt, sie war für den Herbst 2016 geplant. Aus der Pressestelle der Bezirksregierung Köln heißt es dazu: „Der Planfeststellungsbeschluss wird zur Zeit mit Hochdruck in der Bezirksregierung Köln erarbeitet.“ Weiter wird der Herbst als Termin angegeben. Wenn die Genehmigung durch ist, wird Straßen NRW von der Bayer AG die Teile des Landes kaufen, auf denen sie bauliche Eingriffe vornimmt. Im Falle eines Unfalls haftet dann auch Straßen NRW. Auch die Kosten für den Abtransport trägt das Land alleine.